Innsbruck Informiert
Jg.2025
/ Nr.4
- S.22
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Stadtgeschichte
Die Anfänge der
Hebammen in Innsbruck
Über weite Teile der Menschheitsgeschichte brachten Frauen ihre Kinder
allein zur Welt. Doch mit der Zeit hatten Frauen in vielen Gesellschaften das
Bedürfnis nach einer Begleitperson, die sie in den Wehen unterstützt. Der
Beruf der Hebamme war geboren und wurde zu einem integralen Bestandteil
in der medizinischen Versorgung.
© STADTARCHIV/STADTMUSEUM INNSBRUCK (2)
von Verena Kaiser
Die Landesgebäranstalt in Innsbruck, 1916.
Die erste Innsbrucker Trostfrau
Die ersten Frauen, die Schwangere begleiteten, waren meist weibliche Verwandte
oder Freundinnen. Sie hatten sich ihr Wissen durch selbst erlebte Geburten oder
durch die Beobachtung anderer Frauen
beim Gebären angeeignet. Je häufiger eine
Frau Schwangere begleitete, desto öfter
wurde sie zu Geburten gerufen, weil sie
als besonders erfahren galt. 1535 beantragten zwölf adelige Damen beim Stadtpfarrer, dass sich eine Frau namens Anna
Hartmann, die Köchin eines Mitglieds der
Hofgeistlichkeit, gegen eine wöchentliche
Bezahlung nur noch der Geburtshilfe wid42
INNSBRUCK INFORMIERT
mete: „Weil wir sehen und täglich erfahren,
daß großer Mangel an solchen Trostfrauen
hier in Innsbruck ist und sie gute Proben
ihres Könnens abgelegt hat, […] bitten wir,
hiernach unterschriebene Frauen, […] der
genannten Anna wöchentlich einen Betrag
anzuweisen, damit sie sich einen eigenen
Haushalt einrichten und ihren Dienst mit
Gott und Ehren treulich und fleißig versehen möge.“ Lange Zeit war der Beruf der
Hebamme folglich eine Art der Freunderlwirtschaft. Die praktische Erfahrung und
Weiterempfehlung der „Trostfrauen“ dominierten die Geburtshilfe in der Stadt bis
ins 17. Jahrhundert.
Trostfrau zu Hebamme
Erste Schritte in Richtung einer Professionalisierung der Geburtshilfe gab es
zur Zeit der Aufklärung, als gesunde Kinder als wertvolle Staatsbürger angesehen
wurden, die für das Wachstum des Staates von Bedeutung waren. Zuvor oblag die
Aufsicht der Hebammen dem Stadtpfarrer.
Vor einer Anstellung prüfte er die Kirchentreue und die Lebensweise der Frauen, die
ihm auch einen monatlichen Bericht über
ihre Arbeit erstatten mussten. Unter der
Regentschaft von Maria Theresia (1717–
1780) kam es zu ersten Ansätzen einer geregelten Ausbildung für Hebammen. An
der medizinischen Fakultät in Innsbruck,
die seit 1654 bestand, hielt ab 1754 der
jeweilige Professor für Anatomie und Chirurgie einen Kurs über die Geburtshilfe für
angehende Ärzte ab. 1765 richtete man
auch einen zweimonatigen Ausbildungskurs für Hebammen ein. Der Kurs war mit
einem einjährigen Praktikum bei einer erfahrenen Hebamme verknüpft. Jedes Gericht musste auf eigene Kosten zwei Frauen zu diesen Kursen schicken, wodurch
auch die Zahl der ausgebildeten Hebammen in den Landgemeinden stieg. Dennoch gab es weiterhin noch zahlreiche Afterhebammen, sprich Geburtshelferinnen
ohne Ausbildung. Es gab Bemühungen,
diesen Hebammen die Arbeit zu untersagen. Ein Schreiben von 1799 regelte allerdings, dass in entfernten Gegenden, wo
das Warten auf eine qualifizierte Hebamme eine Gefahr für Mutter und Kind darstellte, eine Frau aus einem nahegelegenen Dorf zur Unterstützung einspringen
durfte. Dieser Umstand galt als absoluter
Ausnahmefall. Wer regelmäßig als Afterhebamme arbeitete, mussten mit Geldoder Haftstrafen sowie körperlicher Züchtigung rechnen. Nach der Eingliederung
Tirols an Bayern 1806 sprach die neue Regierung ein gänzliches Berufsverbot für
Afterhebammen aus.
Von Trient nach Wilten
Ab 1818 existierte eine „Bildungsanstalt
für Zivilwundärzte und Hebammen“, ausgestattet mit einer „medizinischen Weiberabteilung“ im ersten Stock des Bürgerspitals (heutiger Bereich des Gymnasiums
am Adolf-Pichler-Platz). Das Spital verzeichnete allerdings kaum Geburten. Über
der Gebärabteilung befand sich das „Zimmer für unheilbare und ekelhafte Kranke“,
was vermutlich viele Frauen vom Gang ins
Zwei Hebammen vor der Tür der „geprüften Hebamme“ Anna Rieder in der Innstraße 85, ca. 1901–1906.
Spital zur Geburt abhielt. Neidisch blickte man auf die Gebär- und Findelanstalt
Alle Laste bei Trient, die bereits über 200
Geburten im Jahr verzeichnete. Alle Laste war sowohl eine Gebäranstalt als auch
Hebammenschule und bot zudem Obhut
für ausgesetzte Kinder. Als die Leitung von
Alle Laste 1868 von Wien dem Land Tirol
übertragen wurde, wurde die Gebäranstalt
im heutigen Tiroler Landesarchiv neu eingerichtet. Einen wirklichen Versorgungsauftrag für die Stadtbevölkerung hatte die
Gebäranstalt allerdings nicht. Kinder aus
„anständigen“ Familien kamen zu Hause zur Welt. Vorrangig mittellose Frauen
suchten die Gebäranstalt auf, um das außereheliche Kind zur Welt zu bringen. Die
Hebammenausbildung hatte sich zu diesem Zeitpunkt endgültig durchgesetzt.
Ein neuer Berufsstand war geboren, der
mit dem Prinzip der Gewerbefreiheit ab
Mitte des 19. Jahrhunderts an Auftrieb
gewann. Unter vielen Hebammen kam es
zu Konkurrenzkämpfen, die oft existenz-
bedrohend waren. Sie nutzten Mundpropaganda oder Zeitungen, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Vor allem ab
1890, inmitten der Industrialisierung, fanden die Geburten nicht mehr in den kleinen Arbeiterwohnungen, sondern in den
Wohnungen der Hebammen statt. Während der Ersten Republik arbeiteten 361
Hebammen in Tirol (Stand 1924). Das neue
Hebammengesetz von 1925 sollte zu einer materiellen Besserstellung und fachlichen Fortbildung der Geburtshelferinnen
beitragen. Es erweiterte den Aufgabenbereich einer Hebamme. Sie mussten nun
den Säugling überwachen, an der Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge mitwirken und die Verschwiegenheitspflicht
einhalten. Zudem unterschied das Gesetz
erstmals zwischen öffentlich bestellten
Hebammen, die nur in einem gewissen
Sprengel tätig sein durften, freipraktizierenden Hebammen und Anstaltshebammen, die in Krankenanstalten oder ähnlichen Einrichtungen arbeiten.
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