Innsbrucker Stadtnachrichten

Jg.1989

/ Nr.9

- S.30

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Gesamter Text dieser Seite:
er Wiltener Kelch und Innsbruc
Kein zweites Denkmal der
Goldschmiedekunst übt auf den
geschichtsbewußten Innsbrucker
eine solche Faszination aus wie
der Wiltener Kelch. Warum, so
fragen wir ? Rein kunsthistorisch
betrachtet, bildet er eine Arbeit
des niedersächsischen Kunstkreises aus der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts und ist als solches sehr wohl ein beachtenswertes Stück — doch, so gesehen,
ohne besondere Beziehung zu
Innsbruck.
Aus der Sicht der Theologie
wurde ihm immer größtes Interesse entgegengebracht, nicht nur
wegen der Thematik seiner Verzierung, seines Bilderprogramms,
sondern insbesondere wegen der
dabei befindlichen Saugröhrchen
Von Archivdirektor Sen.-Rat
Univ.-Doz. Dr. Franz-Heinz Hye
die den Beweis erbringen, daß
man im Hochmittelalter bei uns
die hl. Kommunion in beiden Gestalten empfangen hat. Aus diesem Grunde hat sich sogar das
Konzil von Trient für den Wiltener Kelch interessiert. Doch auch
darin ist kein besonderer Innsbruck-Bezug zu erblicken, sieht
man davon ab, daß sich der Kelch
eben in Innsbruck-Wilten befand.

Worin also liegt die enge Verknüpfung des Kelches mit unserer Stadt? Die Antwort darauf
gibt die Widmungs-Inschrift am
Rand des Kelchfußes, aber auch
sie ist nicht vordergründig leicht
zu verstehen, sondern erfordert
eine intensive Befassung. Diese
lateinische Inschrift lautet: „Parce
calix iste per quos datus est tibi
XPE Bertoldi monitis cui sis mitissime mitis". Ins Deutsche
übersetzt heißt dies: „Gnädig sei
dieser Kelch denen, von denen er
Dir, o Christus geschenkt wurde,
auf Weisung Bertolds, dem du
allermildester sein mögest." Wie
daraus ersichtlich, wird darin also
weder Innsbruck noch Wüten
genannt. Der einzige Name, den
die Inschrift enthält, ist der des
Stifters Berchtold, dem jedoch
keinerlei Titel beigegeben erscheint. Und dennoch reichen die
angeführten Fakten und Aussagen aus, um die enge Beziehung
zwischen dem Kelch und der
Stadt Innsbruck nachzuweisen
und zu erklären.
Der Kelch ist ein höchst kostbares
Kunstwerk der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts, eine Goldschmiedearbeit, die nur ein wahrhaft reicher und mächtiger Mann
dem Kloster Wüten zu schenken

vermochte. Allerdings mußte dieser Mann für eine solche Schenkung auch einen entsprechenden
Anlaß, ein adäquates Motiv
haben.
Setzen wir das Ergebnis dieser
Analyse in die geschichtliche
Realität um, so entpuppt sich der
genannte Berchtold als jener
Markgraf von Istrien und Graf
von Andechs, der im Jahre 1180
nach langen Verhandlungen mit
dem Kloster Wüten seinen Markt
vom linken Innufer über die Innbrücke auf das rechte Ufer, auf
den Grund des Klosters, ausdehnen konnte. Ohne die Bereitschaft des Klosters, welches im
Tauschwege auf eben diesen
Grund verzichtet hat — es ist das
Areal der heutigen Altstadt und
des Innrains — und dem Markgrafen überlassen hat, wäre diese
Markterweiterung, die kurz darauf (zwischen 1187 und 1204) zur
Stadterhebung des Marktes Innsbruck geführt hat, nicht möglich
gewesen. In dieser für den Grafen
äußerst wichtigen Grundabtretung dürfen wir daher mit Recht
den Anlaß und das Motiv für dieses kostbare Geschenk erblicken:
Erst jetzt hatte er beide Enden der
Innbrücke in seiner Gewalt und
konnte sein stadtpolitisches Ziel
erreichen. Allerdings, Machtzuwachs für den einen bedeutet
immer Machtverlust für den
anderen. Dieser andere aber war
im gegenständlichen Fall sowohl
in politischer, judizieller und

1889

wirtschaftlicher Beziehung das
Kloster Wüten.
Der Kelch dürfte sich daher für
das Kloster schon sehr bald als ein
ebenso schönes wie kostbares
„Trostpflaster" entpuppt haben,
welches ihm deshalb nicht weniger kostbar war. Dementsprechend wurde der Kelch auch
begehrt und behütet und deshalb
entweder vor einem Dieb oder in
politisch unruhiger Zeit, um ihn
vor gegnerischem Zugriff zu
bewahren, vergraben. Anlaß
könnte am ehesten die Verfolgung der Andechser nach dem
Königsmord von 1208 an Philipp
von Schwaben gewesen sein, bei
welchem man ihnen Mitwisserschaft vorwarf. Im Elogium auf
Abt Konrad I. (ca. 1288 — 1302)
wird jedenfalls berichtet, daß in
seiner Zeit der Kelch („calix
argentens mirificie elaboratus")
im Suster-Acker (= südlich der
Liebeneggstraße) wieder aufgefunden worden ist.
Die wirtschaftliche Not der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts
hat das Stift dann gezwungen,
den Kelch und andere Kunstgegenstände im März 1938 (vgl.
Innsbrucker Nachrichten/Neueste Zeitung 1938, Nr. 56 — März 9)
zu verkaufen, wobei es dem Kunsthistorischen Museum in Wien zu
danken ist, daß durch seinen
raschen Ankaufsentschluß der
Kelch nicht nach Übersee gelangte, sondern in unserer österreichischen Heimat verbleiben konnte.
Daß wir fortan jeweils im Sommer den Kelch wieder in Innsbruck wissen dürfen, läßt die
unselige Situation von 1938 beinahe vergessen. Vergelt"s Gott!

VOR HUNDERT JAHREN

26. September: „Anläßlich der
feierlichen Eröffnung des von
Herrn v. Sieberer für Innsbruck
gestifteten Waisenhauses am
1. Oktober und der aus diesem
Anlasse erfolgenden Anwesenheit des Protectors des "Oesterr.
Touristenclubs", Sr. k. und k.
Hoheit des durchlauchtigsten
Herrn Erzherzogs Karl Ludwig,
wird die Section Innsbruck dieses
Clubs zur Feier dieses Ereignisses
nach Einbruch der Dunkelheit
auf der Series, dem Waldraster
Jöchel, der Saile und dem Patscherkofel große Bergfeuer abbrennen lassen und das Kaiser
Der von Graf Berchtold V. von Andechs um 1180 dem Stift Wüten Franz Joseph-Schutzhaus intengeschenkte berühmte „Wiltener Kelch". (Foto: Kunsthist. Museum) siv bengalisch beleuchten."

1. Oktober: „Feilbietungs-Edikt.
Ueber Ansuchen der Besitzer
wird Hotel und Pension Schloß
Mentelberg mit Kirche, den dazugehörigen Gütern und den dort
befindlichen Mobilien einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung unterzogen."
12. Oktober: Ein Gegenstand in
der Sitzung des Gemeinderates
„war die Festsetzung der Bedingungen bei Zahlung des Beitrages
von 15.000 fl. an die Tramwaygesellschaft zur Herstellung der
Tramwaybrücke östlich der Kettenbrücke, welche auch die Röhren der Hochdruck-Trinkwasserleitung zu tragen hat."
W.