Innsbrucker Stadtnachrichten

Jg.1985

/ Nr.11

- S.24

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Die Reichskristallnacht in Innsbruck
Mit der am 12. März 1938 erzwungenen nationalsozialistischen Machtergreifung und
dem unmittelbar darauffolgenden Einmarsch deutscher Truppen in unser Land hörte nicht
nur die eigenständige Existenz
Von Josefine Justic
Österreichs auf, sondern wurde
auch die Gleichschaltung mit
dem sogenannten „Altreich"
sehr rasch vollzogen. Dies bedeutete nicht nur sofortige Verhaftungen von Regimegegnern,
Andersdenkenden und nicht
Geduldeten; es umfaßte auch
die rigorose Durchsetzung der
Nürnberger Rassegesetze des
Jahres 1935 und die damit
verbundenen unmenschlichen
Maßnahmen gegen jüdische
Staatsangehörige. Sie eskalierten nach bereits angelaufenen
Verhaftungen, Ausschreitungen und Überfällen vorerst in
der sogenannten „Reichskristallnacht" vom 10. November
1938, und diese hatte auch in
Innsbruck entsetzliche Folgen.
Als Vorwand für den von
Reichspropagandaminister
Goebbels initiierten „Ausbruch
der kochenden Volksseele gegen die Juden" wurde die Ermordung des deutschen Botschaftssekretärs Ernst vom
Rath in Paris durch Herschel
Grynszpan benützt. Auch in
Innsbruck bereitete man sich
seitens der höchsten Stellen vor,
gegen die jüdischen Mitbürger

vorzugehen. Gad Hugo Sella zitiert darüber in seinem Buch
„Die Juden Tirols", 1979, S. 46,
den Bericht des SS-Untersturmbannführers Fast: „Der
Gauleiter (Anm.: Franz Hofer)
traf Punkt 1 Uhr nachts, von
München kommend, in seinem
Dienstzimmer ein. Anwesend
waren die Führer der Gliederungen, SS-Obersturmführer
Feil, SA-Brigadeführer Waldacher usw., sowie die Leiter der
Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei, SS-Hauptsturmführer Dr. Spann von der Gestapostelle Innsbruck, SS-Untersturmführer Dr. Franzelin
von der Polizeidirektion Innsbruck usw., außerdem der Beauftragte für die Arisierung, Pg.
(= Parteigenosse) Hermann
Duxneuner, und ich (= SS-Untersturmbannführer Fast), als
Vertreter des SD-Unterabschnittes Tirol. Der Gauleiter
gab folgendes bekannt: Als
Antwort auf den feigen jüdischen Mordüberfall auf .. . hat
sich die kochende Volksseele im
Reich bereits gegen die Juden
gewandt. . . . Es sei notwendig,
daß sich auch in Tirol in dieser
Nacht (vom 9. auf den 10. November 1938) die kochende
Volksseele gegen die Juden erhebe ... der kochenden Volksseele sei bis in der Früh 6 Uhr
volle Aktionsfreiheit zu gewähren; . .. Anschließend gegen
2.30 Uhr wurden an Hand der
Judenlisten, die von Pg. Duxneuner beschafft wurden, die

einzelnen Gliederungen planmäßig zur Aktion gegen jüdische Objekte und Personen eingesetzt, in Verbindung mit einem strengen Befehl zum Anlegen von Zivilkleidung." Diese traurige Nacht der „vollen
Aktionsfreiheit" in Innsbruck
endete mit drei heimtückischen
Morden, schweren Verwundungen und Mißhandlungen an
Innsbrucker Juden, der Zerstörung der Synagoge in der Sillgasse und der Beschädigung
mehrerer jüdischer Geschäfte
und Wohnungen. Die Todesopfer waren der Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde, Ing.
Richard Berger, Ing. Richard
Graubart und Dr. Wilhelm
Bauer.
In den „Innsbrucker Nachrichten" - seit 2. Juli 1938 „Parteiorgan der NSDAP Gau Tirol-Vorarlberg" — wird zwar in
der Abendausgabe des 11. November von der Zertrümmerung der Synagoge in Innsbruck
berichtet, eine Meldung über
die Toten und Verletzten der
vorangegangenen Nacht sucht
man jedoch vergeblich. Einem
Geheimbericht des SS-Untersturmbannführers Fast vom
12. November an den SD-(= Sicherheitsdienst)Führer in Wien
ist jedoch zu entnehmen (zitiert
nach Sella, a. a. O., S. 47 f.):
„ . . . Im Verlauf dieser Aktion
wurden die Wohnungen aller
noch nicht ausgewanderten Juden schwer beschädigt. Falls Juden bei dieser Aktion keinen

Schaden erlitten haben, dürfte
dies darauf zurückzuführen
sein, daß sie übersehen wurden.
Zu Plünderungen ist es nirgends gekommen. In 2 Fällen
wurde das Eigentum von
Ariern zerstört, in einem Fall
aus Unkenntnis über die Abstammung des Wohnungsinhabers, im anderen Fall war die
Wohnung vor kürzerer Zeit in
arische Hände gelangt.... Abschließend liegt folgendes Ergebnis vor: Es wurden bis jetzt
3 Juden getötet. Es sind dies Richard Graubart, Karl Bauer
(sie!) und Richard Berger. Wilhelm Bauer (!) liegt mit schweren Kopfverletzungen im Spit a l . . . In einigen Teilen der Bevölkerung ist man der Meinung,
daß es sich bei den Urhebern
um Provokateure handelt. In
liberalen Kreisen der Bevölkerung, sowie auch bei den Klerikalen, äußerte man sich erwartungsgemäß gegen die Art und
Weise des Vorgehens. .. . Die
näheren Einzelheiten der ganzen Aktion sind unter der Bevölkerung noch nicht bekannt.
Daher gehen auch viele unsinnige Gerüchte herum. Unter
den Nationalsozialisten wurde
die Mitteilung von diesen Aktionen sowie die Ankündigung
noch zu erwartender Gesetze,
einmütig mit großer Genugtuung aufgenommen."
Mit diesen Zeilen soll im November 1985 an dieses bitterste
und dunkelste Kapitel aus der
jüngsten Geschichte unserer
Stadt am 10. November 1938
erinnert werden. Was in diesen
Jahren zwischen 1938 und 1945
in unserer Stadt überdies vorgegangen ist, darüber informiert eine weitere, derzeit laufende Ausstellung zur Innsbrucker Zeitgeschichte im Stadtarchiv.

VOR HUND
JAHRE
11. Dezember: „Am Samstag
findet im Saale des Gesellenvereins-Hauses eine einmalige
Soirée mit Gedankenlesen,
Elektrik und Antispiritismus
durch den Hofkünstler Mr.
Meunier statt. Nach den vorliegenden Berichten sind seine sämmtlichen Experimente
höchst interessant, seine Erscheinung ist eine gewinnende
und sein Vortrag vollständig
„Kennzeichnung" eines jüdischen Geschäftes, Adamgasse 9, wie sie nach dem Einmarsch 1938 in der
correct."
W.
ganzen Stadt vorgenommen worden ist.
(Foto: Stadtarchiv, Repro: Murauer)