Innsbrucker Stadtnachrichten

Jg.1985

/ Nr.5

- S.8

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Diese Ausgabe – 1985_Innsbrucker_Stadtnachrichten_05
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Die Stadt Innsbruck feierte den vierzigste i Jahrestag der Wiedergeburt Österreichs
Gedenken an alle, die wegen der Gewaltherrschaft des NS-Regimes ihr Leben lassen mußten, und an die In n: rucker Opfer des Bombenkrieges — Festsitzung des Gemeinderates und ökumenischer Gottesdienst
(Gr) Mit Kranzniederlegungen am
Mahnmal für die Opfer des Lagers
Reichenau und am Denkmal im Pradler Friedhof für die Opfer der Luftangriffe, mit einer Festsitzung des Gemeinderates im Saal Tirol des Kongreßhauses und einem ökumenischen
Gottesdienst im Dom beging die Stadt
Innsbruck am 27. April den 40. Jahrestag der Wiedergeburt Österreichs.
Auf den Tag genau vierzig Jahre zuvor
hatten die Vorstände der eben neu erstandenen politischen Parteien Österreichs eine Proklamation erlassen, in
der sie eine Unabhängigkeitserklärung
für Österreich abgaben. Darauf nahm
Bürgermeister Romuald Niescher in
seiner Rede beim Festakt im Kongreßhaus, der vom städtischen Symphonieorchester musikalisch umrahmt
wurde, Bezug. Die Stunde, in der diese
Proklamation unterzeichnet wurde,
war die Geburtsstunde unseres damals
wiedererstandenen
eigenständigen
und demokratischen Vaterlandes, die
von vielen Österreichern heiß ersehnt
worden war.
Der Bürgermeister verwies dann auf
Österreichs historische Rolle und heutige Bedeutung für Europa, auf den
nur unter politischer und militärischer
Bedrohung zustande gekommenen
Anschluß, weshalb die Alliierten bereits 1943 übereingekommen sind,
Österreich als selbständigen Staat wiederherzustellen. Darauf konnten sich
die demokratischen Parteien Österreichs 1945 berufen, darin lag auch bereits der Keim für die Entwicklung, die
schließlich 1955 zum Staatsvertrag
und damit zu einem freien und eigenständigen Österreich führte.

deren nicht respektieren, sondern beim ökumenischen Gottesdienst im
verachten; die glauben, im Alleinbe- Dom, das Verantwortungsbewußtsein
sitz der Wahrheit zu sein, die de- für die Gegenwart, den Mut für das
mokratische Mehrheiten nicht zur Morgen und die Hoffnung auf das
Kenntnis nehmen und unser ganzes Ewige zu lernen. Auf persönliche
gesellschaftspolitisches System mit Erlebnisse in der NS-Zeit zurückallen parlamentarischen und außer- greifend, sprach der Bishof von den
parlamentarischen Mitteln — oft am vier „dunklen Nächten", der nationalRande oder außerhalb der Legalität sozialistischen Ära: der Nacht des
— vernichten wollen. Diesen Kräften Rassenwahns, wie er gegen die Juden
müssen wir entgegentreten, im Staa- wirksam wurde; der Nacht absoluter
te, in den Ländern, in den Gemein- Rechtlosigkeit, wie er sie selbst im Gestapo-Gefängnis erlebt habe; der
den."
Jener Geist, der 1945 zum Miteinan- Nacht des grausamen Krieges und
der geführt hat, das menschliche Kli- schließlich der Nacht der Not und der
ma, das die Arbeit im Gemeinderat sinnlosen Zerstörung. „Sorgt dafür,
begleitet hat, möge auch Grundlage daß es Tag bleibt!" warder Appell, den
sein, um die Herausforderung zu be- Bischof Stecher an die im Dom versammelten Vertreter des öffentlichen
stehen, die unsere Zeit an uns stellt.
Aus den Nächten der Vergangenheit Lebens, aber auch an die zahlreichen
gelte es, so sagte Diözesanbischof Dr. Mitbetenden aus der Bevölkerung geReinhold Stecher in seiner Predigt richtet hat.

Voraussetzung für die Wiedergeburt
Österreichs war es aber, daß Menschen sich in ihrem Gewissen und ihrer Überzeugung nicht gebeugt haben, daß sie im Widerstand und als
Opfer des Regimes ihr Leben lassen
mußten.
So wurde die 1934 mehr als dreihundert Mitglieder zählende jüdische Gemeinde in Innsbruck 1939 durch eine
Terroraktion zerschlagen, ihre führenden Persönlichkeiten wurden mißhandelt und ermordet. Von den Innsbrukker Juden wurden zwischen 1938 und
1945 insgesamt 51 in Innsbruck selbst
oder in Gefängnissen und Konzentrationslagern getötet, der größte Teil der
anderen vertrieben.
34 Innsbrucker wurden ihrer politischen Einstellung oder ihres religiösen
Bekenntnisses wegen hingerichtet, 81
Innsbrucker wurden in der Euthanasie-Anstalt Hartheim in Oberösterreich getötet.
Der Bürgermeister kam dann auf das
Chaos zu sprechen, das der Krieg als
Erbe hinterlassen hat. Zweiundzwanzig Luftangriffe zwischen Dezember
1943 und April 1945 haben in Innsbruck 504 Tote gefordert. 3833 Gebäude, das waren 53,6 Prozent aller
Bauten, wurden beschädigt und zerstört, fast 60 Prozent der Wohnungen
waren unbrauchbar geworden.
2062 Innsbrucker sind, der demokratischen Rechte beraubt, auf den
Schlachtfeldern gefallen, 1228 wurden
zu Invaliden, Tausende kamen in
Kriegsgefangenschaft.
In dieser Stunde Null halfen sich die
Innsbrucker selbst. 36.834 Bewohner
unserer Stadt haben selbst zu Schaufel

Vier Jahrzehnte ohne Angst vor Bomben

Im Pradler Friedhof erinnerte Bürger- nen. Dies könne sowohl im geschichtmeister Romuald Niescher vor dem lichen Rückblick wie auch in Hinsicht
Denkmal für die Opfer der Luftangrif- darauf, daß in einer Reihe anderer
Höhepunkt der Gedenkfeiern war eine Festsitzung des Gernderates im Kongreßhaus, an der neben den Mitgliedern des
fe an die Mitbürger, die im Bombenha- Länder unserer Welt auch heute Krieg
m und öffentlichen Lebens teilnahmen. (Fotos: Murauer)
Gemeinderates auch hohe Vertreter des kirchlichen, kultwe
gel umgekommen sind. Die totale und Tod diktieren, nicht hoch genug
und Karren gegriffen, um den Schutt den Gefängnissei und Konzentra- den letzten Jahren mehr und mehr die Ideologie des Nationalsozialismus ha- eingeschätzt werden. Die Jahrzehnte
zu beseitigen. 8000 Kubikmeter davon tionslagern des D tten Reiches das- Frage gestellt, ob die rasante Auf- be schließlich auch zur Proklamation des Friedens sind für die Menschen in
wurden weggeräumt, 250.000 Mauer- selbe Los erlittei und aufeinander wärtsentwicklung, der scheinbar un- des totalen Krieges geführt, was zur unserem Vaterland Grundlage eines
ziegel zurückgewonnen und 4941 angewiesen warei einander näher- begrenzt wachsende Wohlstand, die Folge hatte, daß auch die Heimat in glücklichen und erfüllten Lebens geWohnungen ausschließlich durch kamen und zum tatschluß fanden, nahezu unerschöpfliche technische das Vernichtungswerk des Krieges ein- worden. Beim Anblick der Gräber unserer Bombenopfer müsse uns die
Selbsthilfe neu gewonnen.
gemeinsam öster eichs Zukunft zu Machbarkeit, die sich anbot, uns nicht bezogen wurde.
auf eine gefährliche Fährte gelockt ha- Um so dankbarer müsse uns heute be- Hoffnung erfüllen, daß die Kräfte, die
Bürgermeister Niescher skizzierte gestalten.
dann das gewaltige Aufbauwerk und Die Herausfordtfung des Jahres ben. Die Alarmsignale wurden un- wußt sein, daß wir in unserem Vater- Frieden schaffen, wachsen und für imdie eindrucksvolle Entwicklung Inns- 1945 sei der Wieleraufbau und die überhörbar: die sterbenden Wälder, land auf vier Jahrzehnte einer friedli- mer mehr Menschen ein Leben in Freibrucks in den vergangenen vier Jahr- Wiederherstellung! des Glaubens an die verschmutzten Gewässer, die ver- chen Entwicklung zurückblicken kön- heit und Sicherheit bringen mögen.
zehnten und stellte fest, daß dies Österreich gewese Die Herausfor- gifteten Äcker, die durch Abgas verpemöglich war, weil sich in ganz Öster- derung des Jahres 985 sei die Erhal- stete Luft. Wir müßten die Grenzen in
reich die Gegner von einst, als sie in tung unserer Umv lt. Es habe sich in der Inanspruchnahme der Güter der
Natur zur Kenntnis nehmen. Unersättlichkeit, das Aufgehen des Menschen
im materiellen Überfluß, unsere Konsum- und Fortschrittsmentalität könnBeim Mahnmal in der Reichenau, das stratenserfrater G eon-Josef Außer- ten die Lebensgrundlagen für die koman die ausländischen wie Innsbrucker lechner, den Rech sanwalt Dr. Adolf menden Generationen in Frage stelOpfer des in der NS-Zeit dort einge- Hörhager und dei Gymnasialprofes- len. Vor allem die jungen Menschen
haben ein waches Gespür für diese
richteten Gestapo-Lagers erinnert, sor Dr. Franz Mai
sprach Bürgermeister Romuald Nie- Die hier gebracht* i Opfer sollen uns Gefahren.
scher Worte des Gedenkens an alle, die Mahnung sein, di* wiedergewonnene Fine Herausforderung aber, der wir
Gefangenschaft, Mißhandlung oder Freiheit unseres " terlandes nicht zu uns immer zu stellen haben, sei die
verspielen. Wir n ißten bereit sein, Erhaltung unserer Demokratie. „Es
den Tod erleiden mußten.
Stellvertretend für die vielen Innsbruk- dafür auch person ehe Opfer auf uns schrillen da und dort Alarmglocken,
ker, die hier und anderswo ihr Leben- zu nehmen, und s<>n verpflichtet, der die wir nicht überhören dürfen, ein
lassen mußten, nannte der Bürgermei- Einladung zur fre"fn Meinungsäuße- Links- und ein Rechtsextremismus
ster Provikar Dr. Carl Lampert, den rung und zur Mifestaltung unseres mit jener faschistoiden GrundhalPallottinerpater Franz Reinisch, die öffentlichen Lebt» auch Folge zu lei- tung, die diesen beiden Extremen eiAm Mahnmal für die Opfer des Lagers Reichenau legte Bürgermeister Romuald Jesuitenpatres Johann Schwingshackl sten. Dann waren lie Opfer, die hier gen ist, ist in Österreich feststellbar. Eine Kranzniederlegung im Pradler Friedhofgalt den Bombenopfern. In der ReiEs sind jene, die die Meinung des an- chenau wie in Pradl legten auch Vertreter des Bundes der Opfer Kränze nieder.
Niescher in Anwesenheit der Mitglieder des Gemeinderates einen Kranz nieder. und Johann Steinmayr, den Prämon- erbracht wurden, icht umsonst.

Damit die Opfer nicht vergeh ns waren

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Innsbrucker Stadtnachrichten — Offizielles Mitteilu gsblatt der Landeshauptstadt. Jahrgang 1985, Nr. 5

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