Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1938

/ Nr.2

- S.2

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.Amtsblatt Nr. 2

Ist öer Arbeitsdienst öurch sie allgemeine
Dienstpflicht überfiüM?

Dr. Alozzs Oberhammer/ Mitglieö öesstäöt.Wohlfahrtsrates

Jüngst wurde in einem kleinen Kreise die Anregung
einer Innsbrucker Tageszeitung, an der neuen Mühlauer Brücke ein Bildwerk aufzustellen, besprochen. Der
eine meinte, einen hl. Nepomuk, der andere den hl. Georg
vorziehen zu sollen und schließlich brachte einer den Gedanken vor, die Plastik unseres Landsmannes Hans
Andre, „Österreichs Jugend", die auf der Pariser Weltausstellung zu sehen war, dorthin zu stellen.
Auf dem Heimweg fann ich darüber nach, was etwa
die Sonntagssvaziergänger, die über die neue Brücke
in die Stadt zurückströmten, sich beim Anblick der ernsten und doch strahlenden Schönheit dieser Jünglinge denken möchten.
Und schon saß ich im Gedanken als Bettler verkleidet
mit einer Drehorgel am Fuße des Denkmals. Die Bürger
kamen von ihren Ausflügen heim, keinen ließ ich vorüber.
Nein, meinte der erste, ein biederer Alter, der Andre
hat doch unsere heutige Jugend überhaupt nicht gesehen,
man braucht doch nur die Zeitung zu lesen, jeden Tag
nimmt die Kriminalität zu.
Wie soll"s auch anders sein, stimmt sein Begleiter ein,
wenn die Burschen nichts zu tun haben, nichts lernen
können. Es heißt doch, daß nur höchstens 30 Prozent in
Lehrstellen unterkommen.
Ein Lehrer tritt hinzu: Die Jugend ist nicht so viel
schlechter als früher. Der Andre hat schon das Bild der
Jugend getroffen. Denken Sie sich nur, was diese Jugend für einen schweren Weg hat; was wäre etwa aus
uns geworden, wenn wir so aufgewachsen wären? I n
der Schule sind sie die besten Kerls.
Ja, in der Schule, meint eine Frau, aber nachher? Den
ganzen Tag auf der Straße herum oder bestenfalls noch
den Sport haben sie im Kopf. Was hätten die Burschen
Zeit in diesen Jahren, um etwas Ordentliches zu lernen.
Aber sie wissen ja nichts anzufangen mit ihrer Zeit. Wer
kümmert sich denn auch nach der Schule, was die Jugend
treibt?
Doch, doch, erwidert ein Oberjäger, da ist ja jetzt das
Militär. Wir bringen sie schon zur Ordnung und zum
Parieren.
Das Militär war schon recht, antwortet ihm die Frau,
aber wie lange Jahre vergehen von der Schulzeit bis
zum Militär und gerade die dümmsten, wo die Jungen
so notwendig eine feste Hand brauchten! Endlich kommen
dann doch nicht einmal alle daran.
Ein Arbeiter: Beim Militär lernen"s exerzieren, ist
gut, sie lernen Ordnung und Zucht, aber wo lernen"s
denn die Arbeit? Daß man immer wieder neue Maschinen braucht, das versteht ein jeder, aber daß die junge
Arbeitskraft ungelernt und ungeübt zugrund geht und
nie brauchbar wird, das versteht, scheint"s, keiner.
Mit der Politik fangen"s auch schon an, sagt seine Frau
und jeder meint"s besser zu verstehen mit unserem Staat:
nichts scheint ihnen gut und schön. Keine Liebe Habens
zum Vaterland.
Woher sollen sie die Liebe haben, kommt ein Professor. Sie haben das große, stolze Oesterreich nie gekannt
vor dem Krieg, ein Jahrzehnt lang haben sie nur alles

Böse darüber gehört und das, was im Werden ist, das
neue Oesterreich, wer zeigt es ihnen?
Keinen Zusammenhalt haben sie auch nicht, brummt
ein Pensionist. Jeder ist sein eigener Herr und weiß nicht,
daß der andere auch wer ist. Keinen" Respekt haben sie,
nicht voreinander und nicht vor den älteren.
Alles auf einmal kann man nicht machen, wirft ein
Jungvolkführer ein. Wir haben erst angefangen mit unserer Arbeit und schließlich haben wir ja nur für wenige
Stunden in der Woche die Jugend in der Hand. Es wird
fchon langsam werden.
Mit ein paar Stunden in der Woche, unterbricht der
Pensionist, ist"s nicht gemacht. Die vielen Tage dazwischen
reißen euch ja wieder alles nieder, was ihr mühevoll aufrichtet. Beschäftigt muß die Jugend fein, vom Aufstehn
in der Früh bis zum Schlafengehn am Abend; sonst wird
nichts draus.
Den Arbeitsdienst hätten"s uns lassen sollen, fährt ein
Siedler fort, da wär"s jetzt so gut gegangen. Die Jugend
hat eine vernünftige Arbeit gehabt, hat zusammengehalten, in der Freizeit haben sie etwas Neues gelernt. Oft
habe ich ihnen zugeschaut draußen auf der Ulfiswiese. Es
waren prächtige Burschen. Ich Hab" gehört, von einer
Strafanstalt sind 200 Zöglinge von den schlimmsten beim
Arbeitsdienst die besten Burschen geworden. Nur etwa
20 sind wieder in die Anstalt zurückgekommen.
Ein Arbeitsloser drauf: Ja, der Meinige war auch ein
ganzer Nichtsnutz und ist in zwei Jahren der beste Bub
geworden. Der Arbeitsdienst war" schon recht für diese
Lauser.
Kein Geld haben"s mehr, mischt sich ein früherer Politiker ins Gespräch, alles geht in die Rüstungen und die
Stadt mit ihren Finanzen, nun, man weiß ja ohnedies
genug . . . .
Aber was wollen"s denn mit die Kriegsmaschinen,
platzt ein Kaufmann hinein, wenn"s keine Leut" haben
dazu. Mit folche Hallodri kann niemand keinen Krieg
führen. Und in der Stadt, da müssen"s halt einmal andere Sachen lassen. Für wen halten wir denn unsere
Stadt in Ordnung, wenn aus die Buben nichts wird?
Und so ging"s fort. Allmählich wurden die Spaziergänger weniger. Die Sonne war fast hinter den Bergen.
Da kam so ein Arbeitsdienstler des Weges mit seiner
Mutter. Er schaute auch auf zu „Österreichs Jugend",
ernst und doch strahlend in seiner Kraft. Einen halben
Schilling warf er in meinen Hut, sein Taschengeld für
einen Tag. Ich vergaß, meine Orgel weiter zu drehen und
sah ihm nach, wie er seinen festen Schritt über die Brücke
ging: Österreichs Jugend.
Da es Abend geworden, humple ich nun heim mit meiner Drehorgel. Was ich mit Reden nicht erreicht, die
Jahre durch, das möchte ich auf meiner Drehorgel immerfort spielen, so eintönig und gleichmäßig, daß alle Bürger mich schon verwünschen, so unmusikalisch, daß mich
keiner mehr hören will, so unaufhörlich, daß jeder meine
Walze kennt und sie im Schlaf noch in den Ohren hat:
Ein Arbeitslager für Innsbruck . . .
Ein Arbeitslager für Innsbruck. . .
Ein Arbeitslager für Österreichs Jugend . . .