Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1966

/ Nr.1

- S.10

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Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck

dos Atoms in materieller wie in geistiger Hinsicht.
W i r aber, die in dieser komplizierten Zusammensetzung unseren Lebensranm haben und darin bestehen
sollen, sind vor die Wahl gestellt. Vor welche, das kann
kaum einer dem andern sagen, denn jeder findet seine
persönliche Aufgabe vor.
So können die Konsequenzen, die sich aus dieser
Entwicklung ergeben, auch nur in ganz groben Umrissen nachgezeichnet werden. Greifbar wird die Neaktion des Menschen auf diese Anforderung in einem
neuen Begriff, in dem der Verantwortung.
Die Beziehung des „Verantwortlich-Seins" ist natürlich uralt, sicherlich so alt wie der Komo zapien«.
Solange sie aber völlig und ungeteilt im Religiösen
geborgen war, wurde sie nicht im absoluten Begriff
erfaßt. Das Herauslösen und Zergliedern dieser Beziehung und das namentlich Definieren ist ein Symptom der neuen Situation. Ohne die Erkenntnis, verantwortlich zu sein, hätte der Mensch i n den Umwälzungen, die zur Gegenwart geführt haben, geistig nicht
bestehen können. Oder anders gesagt, bei Verlassen des
Geborgenseins im sicher tragenden Grund einer einheitlichen Weltsicht erkannte der Mensch, daß er nun
nicht etwa von allen Verpflichtungen losgelöst sei,
sondern erst recht gebunden, eben i n der Verantwortlichkeit.
Auch im Musikleben hat diese Haltung ihren Niederschlag hinterlassen. I n den alten Zeiten wurde musiziert, einfach musiziert aus der Substanz heraus. Daß
man dazu erst einmal ein Werk braucht, oder genauer:
daß das, was man spielt, nicht bloß fließendes, aus
dem Musikbrauch der Zeit erwachsenes Musiziergut sei,
sondern durchgeformter Ausdruck unverwechselbarer
I n d i v i d u a l i t ä t mit dem Recht auf Anerkennung seiner
Eigengesetzlichkeit, das erkannte man erst später, als
das Einfache immer mehr vor dem Vielfachen zurückwich und sich infolgedessen die Vielfalt unterscheidbarer
ausprägte.
Werke anderer, auch nicht mehr lebender Meister
hatte man immer schon gespielt. Sie aber als eigenständig zu betrachten, sich verantwortlich zu fühlen für
den darin ausgedrückten Willen des — nicht anwesenden — Komponisten, dieses Gefühl ist erst hervorgetreten an der Schwelle zur Gegenwart. Und heute ist
dies einer der Angelpunkte künstlerischer Entscheidung,
freilich ziemlich offensichtlicher A r t , deshalb auch ohne
weiters darlegbar, ob nämlich der Musiker sich dem
Werk eines anderen nähert bloß aus dem Gesichtswinkel des „Betriebes" oder im Bewußtsein, dem
Meister verantwortlich zu sein, das Werk also gewissermaßen „zu treuen Händen" übernommen zu haben.
Auch an sich selbst legt der Musiker, zumal der
schöpferische, heute andere Maßstäbe! strengere, unerbittlichere, nichts dem Zufall einer augenblicklichen
Stimmung überlassend, Kontrolle übend wie in der
Versuchsreihe einer wissenschaftlichen Analyse, und
wenn Einsamkeit und Isolation sein Los wären!
Gewiß mag das auch mit dem Spezialistentum zusammenhängen.
W i r kennen aber bereits die Hoffnung, die für den
besteht, der sich — und sei es auf einsamen Wegen —
immer weiter und intensiver spezialisiert, sie heißt!
durch Vertiefung dem Zeiltrum nahe zu kommen und
die innere Einheit zu finden oder zu erahnen.

Nummcr 1

Freilich muß die Richtung stimmen, in der gestrebt
wird, sonst wächst am Ende der Abstand, statt daß er
sich wie in Mittelpunltnähe verringerte.
Vielleicht aber läßt sich diesbezüglich etwas „Richtungweisendes" sagen. I n dem Augenblick, wo der
Begriff „Gegenwart" mit dem Begriff „Richtung" zusammenstößt, beginnt Gegenwart transparent zu
werden, sie verliert zwar ihre Festigkeit des „Heute
und Hier", aber auch ihr Starres, Einzwängendes, und
weist in die Zukunft. Und ist „Zukunft" nicht das
Zauberwort, das eigentlich hinter allem steht, worum
mir ringen? Auf was anderes als die Zukunft weisen
die Verantwortlichkeit, der Punkt der Entscheidung,
ja eigentlich die K u l t u r überhaupt? Lebendigkeit hat
ja die K u l t u r nur von dem Blick auf die Zukunft.
Was die Zukunft bringen wird, können wir nicht
sehen, nur ahnen; vielleicht wünschen. Wenn w i r aber
in der uns alle umschließenden Gegenwart sehen, daß
der Mitmensch neben uns wie wir in die persönliche
Entscheidung genommen ist, nicht in dieselbe, sicherlich
aber i n gleicher, bis in die Wurzel greifender I n t e n sität, so erzeugt das ein Gefühl der Brüderlichkeit, wie
es die früheren „einfachen", in sich abgeschlossenen
Zeiten gegenüber den einer anderen Einheit zugehörigen Nachbarn nicht fühlen konnten. Die Vielzahl
der Stellen, an denen heute bereits dieses Gefühl der
Brüderlichkeit lebendig ist, trotz alles rundum noch
Trennenden, läßt erhoffen, daß die Zukunft etwas
erringen wird, wozu in alten Zeiten nur einzelne
Weitschauende Zugang hatten: das Bewußtsein weltweiter Gemeinschaft.
Die alten Kulturdefinitionen gingen aus von der
Abgrenzung der Gültigkeit ihrer tragenden Ideen.
Bei solcher Voraussetzung kann es logischerweise zur
Fragestellung kommen, ob in globalen Ausmaßen —
und die haben w i r heute bereits! — die Entstehung
von K u l t u r überhaupt möglich sei.
Sie kann entstehen — und sie muß entstehen, aber
freilich nur, wenn die „Brüderlichkeit aller Menschen"
zu ihren Grundideen gehört und das Streben nach
dem Gemeinsamen und Verbindenden ihr durch und
durch die Richtung gibt.
Träger der Zukunft ist die junge Generation. Was
w i r für die Zukunft tun wollen, haben w i r für die
junge Generation zu tun. Die junge Generation für
die Gemeinschaft der Zukunft vorzubereiten, sie ihr
entgegenzuführen, sei unsere wichtigste Kulturaufgabe.
Der Musik aber wird darin die schönste Rolle zufallen. Denn viel mehr als Worte, Gedanken und Ideen
vermag sie die Menschen vom Innersten her miteinander zu verbinden.
Die musikalische Umrahmung besorgten ein Vläserensemble der Klasse Fritz Krammer, die (Minorata
uc^sloniica und das Akademieorchester unter Professor
Gerhard Wimberger. Es wurde Paul Hindeiniths
Vläsermusit aus dem „Planer Musitlag". Mozarts
Ouvertüre zu Titus und I o h . Nep. Daoids „Kume,
kum, geselle m i n " zum besten gegeben.
Der neue Präsident. Prof. Dr. N. Wagner, ist ein
gebürtiger Wiener (geb. 1M5). I n Wien studierte er
auch an der Universität und an der Staatsatndemie
für Musik. I m Jahre 1M:l trat er zunächst als Komponist und Pianist an die Öffentlichkeit. Drei Jahre