Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1965

/ Nr.11

- S.19

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Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck

Am nächsten, wieder sounenslr^hleiiden 3ag ging ich zur
W^lleuer Kirche, .im zu jchauen, was alles vom Süden üonc,
Da herrfchte zwischen Kirche und Sl»bai!albah»hos ein jähr>»arkläh»liches Treiben: Pferde nnd Ochsen, leils ei»-, leils
ausgespa»»!, Soldaten verschiedenster Uiliformen nnd Sprachen, verlneng! mit Zivilisten, Placheiiwage». Säcke und K i sten. alles durcheinander. Uni ein Paar großgehöriller ungarischer Ochsen, wie ich sie bisher nur auf Bildern gesehen, war
ein Auslauf. Ich entnahm den Gesprächeil, das; ein rnchenischer Tolda! sich von einem Bauern eine hohe Summe für das
Ochicnpaar habe zahlen lassen, dann aber die Herausgabe der
Ochsen unter Hinweis auf das Verliotcuc eines solchen Causes
verweigerte. Vergeblich habe der Bauer mit der Anzeige bei
einem Offizier gedroht, er hätte fich ja selbst in die Nesseln
gesetzt. M a n hörte mich, daß Mehlsäcke, die den Soldaten teuer
abgekauft wurden, nur oben mit Mehl, darunter aber mit
Sand und Erde gefüllt gewesen seien.
A l s ich mich nachmittags wieder in diese Gegend begab,
kamen mir von den Lagcrschupfcn des Wcstbahnhofcs, wo
viele Züge abgestellt waren, diente mit mächtigen weißen,
herrlich duftenden Brotlaiben entgegen. So große hatte ich
noch gar nie gesehen; fie erschienen mir wie ein Märchen,
hatten wir doch oft wochenlang kein Stückchen Brot gesehen,
nicht einmal solches aus M a i s - oder äi.astanienmehl und
Baumrinde. Uns Bubeu schmeckte das Maiöbrot mit Nübcnmarmelade übrigens ganz vorzüglich. Nun erfuhr ich, daß
ein für die Front bestimmter Licbcsgabcnzug auf dein Nangiergclände aufgebrochen nnd geplündert worden war. Das
Sagenland, in dem es noch solches Brot gab, war Nnmänien.
Der Zug wäre sowieso nicht mehr an die Front abgegangen.
M i t gönnerhafter Großmut schnitt mir der Knabe, der mir
dies erzählte, eine tüchtige Scheibe von seinein Laib. Auch
Mehl und Schuhe gäbe es dort, ich sollte nnr hingehen. Wirklich tamcn mir anch schon etliche Leute mit mehreren Paaren
Soldatenschnhcn entgegen. Groß war die Versuchung, vor
allem nach solch einem wie Knchcn schmeckenden Brotlaib,
aber, obwohl mir klar war, daß die Sachen für ihre Bestimmung sowieso verloren waren, schien es mir doch unrechtes
Gnt zu sciu.
Anderntags ging ich zur Villcr Straße hinanf, den zurückflutenden Truppen cutgegen. I n endlosem Zngc kamen da die
Soldaten gefahren, teils mit Autos, zumeist mit Pferde-, aber
auch mit Büffelgespannen. Nie Pferde waren abgemagert und
anfgcschnndcn, die Büffel jene schwarzen, rumänischen, mit
den melancholischen, langen Gesichtern. Vielerlei Sprachen
klangen an mein Ohr, viele Soldaten trugen Verbände, manche lagen wie tot auf den Wägen. Über der Sillschlucht strebte
auf der Brcnncrstraße ein gleicher endloser Zug nach Norden.
Eine alte Prophezeiung ging von M u n d zn M n n d : auf den
Hügeln von Hötting werde eine letzte große Schlacht stattfinden, von der nur so viele Tiroler übrigbleiben werden, als
unter einer Linde Platz haben.
Flieger knatterten über die Stadt, nicht dumpf dröhueud
wie die feindlichen, fast freundlich hell klang ihr Ton; es
waren österreichische, die ersten, die Innsbruck zu sehen bekam. I u kurzen Absländen landeten die Doppeldecker auf der
Ulfiswicsc, dem damaligen Excrzicrgclände. Wer nicht, wie
wir Buben, mit dem Motorklcmci, vertraut war, glaubte zuerst, es feien feindliche, die wieder so nngcniert, wie das
erstemal, am hellen Tage Innsbruck besuchten. Bald wnßtc
nian es aber besser, und schon wurde erzählt, ein Bailer sei
beim Pflügen von einer landenden Maschine durch den Propeller geköpft worden. Bald hauen die Lente ails den abgestellte» Flugzeugeu zum Andenken Leineilstücke ans den Tragflächen geschuüte» uud auch Mcischiuenleile z»r Pralüscheu
Verwerlnng abmonliert. Daraufhin wurde» die Apparale bewacht. Die lollsteu Gerüchle hörte mau über das Treibe» der
Flieger in Innsbrucks Nachlieben. Nw sie »lit großen Paul»olen um sich.warfen. Plötzlich, über Nachl. waren die seltenen Vögel verschwnnden.
Eines Morgens sah ich auf der nahen Wiese ein abgeiuager-

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les. offensichtlich krankes und völlig erschöpftes Pferd im
Grase liegen. Mühsam versuchte es zeitweise den Kopf zu heben. Als ich hinkam, standen schon einige Leute dort. (Lille
Frau versuchte, von den vielen, aufgebrochenen Benlen, Druckstelle» voi» Geschirr auf deu fast mir mehr mit Haut bedecklen Knochen, de» Eiler abzuwaschen; eine andere brachte
Wasser, das das arnie Tier gierig lranl, nm sogleich den Kopf
wieder sinken zu lassen. Jemand sagte, daß man bereits nm
einen Metzger geschickt habe. Als dieser gekommen war, erlöste
er durch rillen Schuß das Tier von seinem Leiden. Sosorl
stürzten Männer uud Frauen mit Kübeln herbei, schnitten
das noch dampfende Fleisch von den Nippen und trugen cs
fort. Es wurden iu den folgende» Tagen überhaupt viele
Pferde den Soldaten abgekauft oder Herreulose eingefangen
nnd das wenige, noch an ihnen befindliche Fleisch in
Eimern uud Fässern eingesalzt für noch schlimmere Zcileu.
Bei der Bahiiübersuhruug am Elide der Mujeumslraße
luuute man immer wieder alls den überfülllen Soldalenzugen
^cyüstc aufblitzeu >ehen. Die Soldaten hocklen anch alls den
Trittorettcrn der Waggons nnd tancrten auf deren Dächern.
So wurden Hunderte in dell Tunnels von den Dächern gestreift nnd fcnlden nach den übcrstandcnen Fromgefahrcn
ein sinnlojcs Ende. I n Innsbruck hielt der Tod überhaupt
noch großen Hofstaat. Der Typhus uud andere Seuchen in
deil Lazaretten und eine böse Lungcngrippe nnter der Z i v i l bevölkerung — die man flüsternd >ogar als Lungenpest bezeichnete — sollen W bis 1U0 Opfer täglich gefordert haben.
Unnntcrbrochcn >ah man Fuhrzcugc, hochgestapelt mit rohen,
schließlich gar nicht mehr jchwarz gestrichenen Särgen. I n
Praoi wuroen beim Militärspital und den Infcttionsbarakten Massengräuer ausgehoben. Scholl wollten die Totengräber
ans Angst vor Anstcctung ihre Arbeit nicht mehr tun. Das
Gerücht, daß die Kapuziner dieses Wert der christlichen B a r m herzigkeit übernommcn hätten, sah ich bald mit eigenen Augen
bestätigt. Als ich eines Morgens an den im Herbstnebel gespenstisch erscheinenden Leihen der Türtenschober auf den
Pradler uud Amrascr Feldern vorbei gegen Aldrans ging,
uni in den Dörfern Milch in kleinen und kleinsten Mengen
zu Hamstern, sah ich beim Militärfriedhof lange Masfcngräbcrschächte und eine Pyramide frisch gezimmerter roher
Särge, für die Kapuziner Gräber schaufelten. Als ich abends
mit meiner verbotenen Bcntc hcimtehrtc, mnßte ich sowohl
dein Wiltcncr als dem Pradler Atziöhänschcn an der Stadtgrenzc ausweichen. So schlich ich mich in der Dämmerung am
Zauue nächst dem Massengrabe entlang, diesen als Deckung
benutzend. Die Saigpyramide war zwar abgebaut, aber uoch
immer schaufelten zwei Franzistancrbrüder. Vom Föhn verstärkt, stieg mir ein gräßlicher Verwesungsgeruch in die Nase.
Es standen ja auch noch einige Särge ohne Deckel hernm, in
denen die Leichen offen lagen. Durch die Zaunlatten hindurch
sah ich, wie die Patres gerade einen Totcu aus dem Sarguutcrteil in die Grube kippten. Anders war die allzn viele
Arbeit Wohl nicht mehr zu bewältige». Eines Nachmittags
sah ich am Nahnhofplatz den Auftakt für diese Bestattungen.
Da stand ein Trausportauto mit je fünf in drei Lagen übereinander gestellten Särgen. Ein Platz war noch leer. Da
trugen Sanitäter aus dem als Kriegsspital verwendeten Hotel Tyrol einen offenen Sarg heraus uud schöbe» ihn in das
wartende Alito.
An einem anderen Nachmittag kam ich in der Sillgasse zu
eiilem Auflauf vor dem Icsuitc»llosler. Auf den Stufe» vor
dein Tore stand ein älterer M a n n , der wild gestikulierend
auf die Meuge einredete. Ich hörte nnr immer wieder das
Wort „ P f a f f e n " heraus. Offensichtlich hetzte der M a n n die
Lenle ans, in das Kloster einzndringen, um die dort vermulclen Lebensmitlel uud sousligeu Schätze zu Plüuderu. Doch da
drang die Polizei durch die Meuge var nnd leerte in kurzer
^eit die Straße,
Damals bildete in Inusbruck, besonders beim lange»
Schlangeslehcn uni die kärglichen Nationen, ein zum Krösus
gewordener Kriegsgcwinner nnd Nachlriegsschicbcr das