Innsbruck Informiert
Jg.2025
/ Nr.1
- S.22
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Gesamter Text dieser Seite:
Stadtgeschichte
Geschichten aus der
Geschichte der Hungerburg
Blick von der Hungerburg,
1920-1930
Stillstand: Auf der Hungerburg ist’s ein Fremdwort.
Da diskutiert man nicht nur über neue attraktive Bauvorhaben
und neue invasive Pflanzenarten; man rückt auch alte
Geschichten in ein neues Licht.
© STADTARCHIV/STADTMUSEUM (3)
von Johann Holzner
See-Hotel am Hungerburgboden, um 1925
Die Königin vom Bäckerbühel
Sie hieß Midi, Tante Midi. Sie wohnte in
St. Nikolaus, in der Bäckerbühelgasse,
heute würde man sagen: in eher bescheidenen Verhältnissen. Aber einmal im Jahr
gab sie ein großes Fest. Ein Fest für Kinder, in einem langgestreckten Hinterhof.
Ein Fest, an dem alle, die kamen, auch
mitwirken mussten oder durften; da gab
es also schräge Flötenkonzerte, Auszüge aus Zirkusnummern oder Szenen aus
Theaterstücken, es wurden Gedichte vorgetragen, Rätsel aufgelöst, Luft- und Lustballons losgelassen, am Ende waren sogar
sportliche Glanzleistungen zu bewundern.
Dann jedoch folgte der Schluss- und Höhepunkt: Jedes Kind bekam eine Salzbur42
INNSBRUCK INFORMIERT
ger mit Senf und eine Kaisersemmel. Noch
Tage, noch Wochen danach hatten alle viel
zu erzählen.
Ein schmaler Sektor aus einem historischen und sozialen Raum, in dem es damals, in der Nachkriegszeit, noch lange
und kalte Winter gab. Fredi Püls, der legendäre Goalie des Innsbrucker EishockeyVereins, schleppte für Menschen, die das
selber nie geschafft hätten, Kohlensäcke
bis vor die Haustür. Alois Lugger war seit
kurzem Innsbrucker Bürgermeister. Das
Fest des Jahres war und blieb über viele
Jahre das Fest der Tante Midi, das schönste
Fest in jenem Raum, den man Jahrzehnte
später Seelsorgeraum Hötting – Hungerburg – St. Nikolaus nennen sollte.
gerburgbahn fährt nicht mehr zur Kettenbrücke und damit geradewegs ins Abseits, sondern ins Stadtzentrum, und die
Buslinie J verbindet die Hungerburg mit
Igls, untertags alle zehn Minuten; von den
Grundstückspreisen hier ganz zu schweigen. – Wenn man noch weiter zurückblickt, dann sieht man, dass es seit 1900
viele große Vorhaben und schöne Pläne
gab, manche davon zwar bald wieder begraben werden mussten, etliche aber doch
schließlich realisiert werden konnten. Da
gibt es viele Geschichten, die neu erzählt
Verlusterfahrungen und Glücksfälle
Wenn Menschen, die seit Jahrzehnten auf
der Hungerburg leben, sich erinnern an
Geschichten aus der Kindheit, dann reden
sie nicht selten von Verlusterfahrungen:
Damals gab es noch ein Lebensmittelgeschäft und einen Friseur, einen Metzger und zwei Bäcker, eine Tischlerei, mindestens acht Wirtshäuser und außerdem
einen Pfarrer, der ganz allein zuständig
war für die Hungerburg, kurz, es gab Begegnungszonen. Mittlerweile gibt es sie
alle nicht mehr, nur ein einziges Gasthaus
noch, alle anderen Treffpunkte sind weggefallen. Verlustanzeigen also auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber eine
steile Kurve nach oben: Die neue Hun-
Die Theresienkirche auf der Hungerburg
werden können, manche auch, die man
später erfunden hat.
Eine Kurzfassung aller dieser Geschichten vermittelt uns inzwischen ChatGPT:
„Die Hungerburg entwickelte sich mit der
Zeit zu einem eigenständigen und teuren
Stadtteil von Innsbruck, geprägt von einer
reichen Geschichte und touristischer Bedeutung.“
künftiger Kurort vorgestellt. Villen, Landhäuser, Parkanlagen sollten hier entstehen, Einheimische und Gäste sollten sich
gleichermaßen in diesem von der Natur so
sehr bevorzugten Gelände wohlfühlen. Mit
der Eröffnung der Hungerburgbahn und
mit dem von Kandler betriebenen Ausbau
des nunmehr von ihm übernommenen
Hotels Mariabrunn sollte die Besiedlung
des gesamten Landstrichs raschestens erfolgen. Kandler errichtete noch etliche Gebäude, ständig hart mit Gewinn und Konkurs kämpfend; sein großes Vorbild war
St. Moritz. Im Ersten Weltkrieg allerdings
brach auch sein Imperium zusammen.
Das Ende aller Visionen? Manche träumen
von einem Haus, wie die Tante Midi es zu
ihrer Zeit geführt hat.
Schöne und schlimme Geschichten
Der „Seehof“ z. B. war einmal als Gasthof
geplant, 1912 wurde er eröffnet, unmittelbar vor dem ehemaligen Spörr’schen
Steinbruch, wo man einen kleinen Badesee anlegen konnte, der von einem Wasserfall gespeist wurde; dahinter baute
man noch einen Aussichtsturm, eine Ruine, die von allem Anfang an aussah, als
stünde sie da schon seit dem Mittelalter,
und die ohne weiteres nur mit einem Boot
erreichbar war: Die Brüder Karl und Franz
Schwärzler, die diese Anlage errichtet haben, hatten Visionen. Allerdings, bald darauf kam der Große Krieg, die Illusionen
sind schnell zerplatzt.
Der Innsbrucker Tourismuspionier Sebastian
Kandler (1863–1928) versuchte schon seit
der Jahrhundertwende, die Hungerburg
zu einem Sommerfrische-Zentrum auszubauen. Seit 1904 wurde das Gebiet als
Buchtipp
Matthias Egger, Johann Holzner
Hungerburg
Architektur – Kultur – Natur
Veröffentlichungen des
Innsbrucker Stadtarchivs, Neue Folge,
Band 80
29,90 €
ISBN 978-3-7030-6629-0
244 Seiten, Klappenbroschüre
www.innsbruck.gv.at/shop
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