Innsbruck Informiert

Jg.2021

/ Nr.4

- S.30

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Stadtgeschichte

Soziale Arbeit mit Jugendlichen
im Aufbruch

Jugendliche beim
Schreiben von
Transparenten im
Vorfeld der Paddelbootaktion am Inn
im Juni 1977.

Eine jüngst erschienene Publikation beschreibt die „Gründerzeiten“
von Einrichtungen für Jugendliche und junge Erwachsene in verschiedenen
Problemlagen im Innsbruck der 1970er- und 1980er-Jahre.

© DOWAS

© WINDISCHER

von Andrea Sommerauer und Hannes Schlosser

Der legendäre erste LKW des Ho&Ruck.

A

nfang 1984 hatten vier männliche
Jugendliche, die im Übergangswohnheim des DOWAS (Durchgangsort für Wohnungs- und Arbeitssuchende) in der Völserstraße wohnten,
von der ergebnislosen Suche nach einem
Arbeits- oder Lehrplatz genug und wurden selbst initiativ. Unterstützt von zwei
Betreuerinnen entwickelten sie die Idee
zu einem Arbeitsprojekt: Entrümpelungen, die Restaurierung von Möbeln, der
Verkauf von Altwaren und Übersiedlungen sollten angeboten werden und den
vier Initiatoren vorübergehende Beschäftigung und ein geringes Einkommen ermöglichen. Der Viaduktbogen
93 wurde angemietet, ein 20 Jahre alter
Lkw gekauft – unter anderem dank ei-

58

INNSBRUCK INFORMIERT

ner Startsubvention der Stadt Innsbruck
in Höhe von 25.000 Schilling. Am 20. Februar 1984 startete das Ho&Ruck, der
Name war Programm: „Jetzt packen wir
es an“.
Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte.
Schon nach ein paar Wochen war der Viaduktbogen zu klein und nach Standorten im Weyrerareal landete das Ho&Ruck
schließlich im heutigen Gebäude in der
Haller Straße. Es avancierte nicht nur zu
einem erfolgreichen Beschäftigungsprojekt für auf dem Arbeitsmarkt schwer
Vermittelbare, sondern ist für viele InnsbruckerInnen mit seinem Dauerflohmarkt sowie mit seinem Angebot für
Übersiedlungen und Wohnungsräumungen längst unverzichtbar geworden.

Bedarfsorientierte Gründungen
Das Ho&Ruck ist eines von zahlreichen
Beispielen für den Auf- und Ausbau eines vielfältigen Netzes an Einrichtungen,
die ein alternatives Angebot zur vielkritisierten Heimerziehung für Jugendliche in Problemlagen geschaffen haben.
Die umfangreiche Studie „Gründerzeiten. Soziale Angebote für Jugendliche in
Innsbruck 1970–1990“ zeichnet die Entstehungsgeschichte dieser Angebote in
der Tiroler Landeshauptstadt nach. Dazu
zählten und zählen Jugendzentren, diverse Wohngemeinschaften, Arbeitsprojekte, Zufluchtsorte für von Gewalt bedrohten Mädchen und Frauen etc. Die
GründerInnen suchten zeitgemäße Antworten auf Sucht, Jugendkriminalität, Ar-

beits- und Wohnungslosigkeit sowie patriarchale Unterdrückung.
Zentrales Kriterium für die Schaffung
neuer Einrichtungen war das Erkennen
eines Bedarfs, der sich in der alltäglichen Arbeit mit Jugendlichen im Alter
von 14 bis 21 Jahren zeigte. Nur sehr selten kamen die Initiativen wie im Fall des
Ho&Ruck von Betroffenen selbst, selten
auch aus der Politik oder Beamtenschaft.
Häufig zählten zu den GründerInnen junge Menschen, etwa nach einer Ausbildung
in Sozialarbeit oder Pädagogik, aber auch
viele engagierte Laien spielten eine Rolle.
Wiederholt empörten sich Abgeordnete
des Innsbrucker Gemeinderats über die
Vorgangsweise, zuerst Fakten zu schaffen und dann beharrlich Subventionen
einzufordern. Um Anerkennung, Respekt und kostendeckende Subventionen
zu erhalten, brauchten diese GründerInnen meist großes Durchhaltevermögen
bei vielfach prekären Arbeitsbedingungen. Nicht alle Initiativen überlebten diese Phase, retrospektiv betrachtet sind es
aber erstaunlich viele.

Zwei Jugendzentren, ein Bischof
Zwei Jugendzentren spielten in Innsbruck
früh eine prägende Rolle. Die sich an GymnasiastInnen und Studierende richtende MK (Marianische Kongregation) sowie
das Z6, das sich an Arbeiterjugendliche,
aber auch an Randgruppen (wie z. B. Rocker) wandte. Die beiden kirchlichen Ein-

richtungen gerieten wegen ihres liberalen
Umgangs mit heiklen Themen (Sexualität,
Demokratie und Mitbestimmung, Bundesheer, Drogen und Alkohol etc.) in Konflikt mit dem Innsbrucker Bischof Paulus
Rusch. Er erwirkte 1973 den Rauswurf
des charismatischen Leiters der MK, Jesuitenpater Sigmund Kripp, und im darauffolgenden Jahr ließ er die Türschlösser
der Räumlichkeiten in der Zollerstraße 6
austauschen, was das Z6 veranlasste, einen selbstständigen Verein zu gründen.
Es war über viele Jahre in Innsbruck die
innovativste Kraft bei der Gründung von
Einrichtungen, die jeweils aus aktuellen
Problemlagen seiner Mitglieder resultierten. So entstanden u. a. die stationäre
Drogentherapieeinrichtung KIT (KontaktInformation-Therapie), das DOWAS und
Arbeitsprojekte wie „Insieme“ und das vegetarische Restaurant „Philippine“.
Das Buch zeichnet anschaulich die
Geschichte(n) der Gründungen sozialer
Einrichtungen nach, eingebettet in den

politischen Rahmen dieser beiden Jahrzehnte. Erzählt wird auch von den Vernetzungsprojekten, die entstanden, um
sich gegenseitig zu unterstützen und zugleich die (sozial-)politische Wirksamkeit zu erhöhen – der Sozialpolitische Arbeitskreis (SPAK) ist bis heute in diesem
Sinne tätig.

Mehr zum Thema:
Andrea Sommerauer, Hannes Schlosser
Gründerzeiten. Soziale Angebote für
Jugendliche in Innsbruck 1970–1990
Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs,
Neue Folge, Band 70
Innsbruck 2020