Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1954

/ Nr.1

- S.3

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Nu ininer

dc> Landeshauptstadt Innsbruck

Seite 3

Bürgermeister D r . Gleiter berichtet über Amerika
Bürgermeister D r . <^ran,; Wreiter hat iiber seine im
F r ü h j a h r l!!7>!l unternommene sechswöchige A n i e r i l a reise einen (Nlöführlichen Bericht verfaßt, der zugleich
als (sirnndknie für einen V o r t r a g iin Ainerila-.s)an5
dieilte. Diesein naliirlich i n i r sudjetline Eindrücke
enthaltenden Bericht sind die folgenden, alici) die Leser dei., . . ^ l n i l s b l a t t e s " interessierenden ^ll"schnilte
entnommen!
Das Gebiet der Vereinigten Staaten umfaßt drei Viertel
der Größe Europas, nicht des Europas, wie w i r es heute
aussassen, souderu jenes Europas, welches w i r in der Schule
kenneugelerut haben und das bis zum Ural reicht; von deu
N!>» Millionen Eiuwohueru lebcu große Teile zusammengefaßt in großen Städten, während weite Landstriche ohne
Bevölkerung sind.
Woher sind diese Einwohner gekommen? Sie sind dort
nicht gencratioueuwcise gewachscu, sondern aus der ganzen
Welt, besonders aber ans Europa, iu einem Strom von
jährlich Millionen zugewandert. I n der Neuen Welt mußten sie anfangs den Boden kultivieren, den Kampf gegen
die Natur aufnehmen und in unbekanntes Land vorstoßen.
Nachdem sie Europa vielfach iufolgc politischer oder religiöser Unterdrückung verlassen hatten, brachten sie einen
unbändigen Freiheitsdrang mit, woraus sich nach meiner
bescheidenen Ansicht manche Eharakterzüge der heutigen Bewohner erklären lassen; möglichst wenig Bevormundung
durch dcu Staat, Freiheit für jcdcu, der nicht gegen die
Gesetze verstößt, freie Wirtschaft, freie Bahn dem Tüchtigen.
Dabei kam es freilich anch zn Auswüchsen, besonders in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wie bei uns wurde
manches mitgeschleppt, das uns heute nicht als sinnvoll
erscheint. Aber ich frage: Haben nicht auch w i r manches
Gewand, das uns an und für sich nicht mehr recht Paßt,
aber im Laufe der Geschichte auf uus zugeschnitten wurde,
heute historisch begründet ist und das w i r als gewohnten
Rock lieber tragen als ein neues Gewand?
Ans besonderen historischen Begebenheiten können w i r
n»s die Eharaktereigcnschaften des Durchschnittsamerikaners
erklären. Als hervorragendste möchte ich die ausgedehnte
gegenseitige Hilfsbereitschaft nennen. W i r müssen uns —
sagen w i r — nm eine Generation znrück, in eine Zeit versetzen, in der man die Erleichterungen der modernen Technik
noch nicht hatte; heute ist das Telephon bis ins letzte Hans
gedrungen; Feuerwehr nnd Polizei sind dnrch Rundfunk
miteinander verbunden, der Krankenwagen bringt die FarmerSfran in einer halben Stunde znr größeren Siedlung;
im Notfall setzt die Luftwaffe einen Hcliocopter ein, der
jemanden wegbringen oder etwas abwerfen kann.
All dies hat es vor 5><1 Jahren noch nicht gegeben. Die
Gemeinschaft, die sich damals in einer kleinen Siedlung zusammengefunden hatte, war ans Gedeih uud Verderb miteinander verbunden. Wenn a»ch dnrch dir technische Entwicklung gemildert, wird diese Bereitschaft znr gegenseitigen
Hilfe doch noch nach Generationen in den Menschen verwnrzelt sein.
W i r hören oft, daß Kultur und Gemütlichkeit drüben
weniger zn finden seien. Eine Gegenfrage: Würden wir,
wenn w i r hente in die weite Ebene zögen und im Kampfe
gegen die Natur stüudru, den Boden roden nnd als erste
bebauen müßten, in kürzester Zeit eine >tül!nr ausbauen
können, wie w i r sie heute habeu?
Stellen Sie sich vor, S i r wären in einer kleinen Sied°
lnng. I h r e Nachbarn sind znr Rechten ein Finne, znr Linken ein Grieche, vielleicht anch ein Neger, ein Romane, ein
Engländer nnd ein I r e ! Könnten w i r da - innerhalb kür-

zester Zeit, nicht erst nach Generationen
die Voraussetzuugeu schaffen, damit sich der Begriff der Gemiitlichlrit
nur hier entwickle? Dazu ist es notwendig, daß mehrere
Generationen, die sich die elementarsten Lebensbedürfnisse
gesichert haben, aufbauen und miteinander verschmelzen.
Ers! dann kann sich das bilden, was w i r Kultur nnd Gemiillichlei! nennen. Nuu fehlt es anch heute in dieser Hin»
sich! nichl an slacken Bestrebungen,^ und ich bin überzeugt,
daß in ein bis zwei Generationen das kulturelle B i l d in
Amerika noch ganz anders sein wird, als e<" henle dem flüchtigen Besucher erscheinen mag.
Wie stellen sich nnn ^ 8 ^ . nns dar?
Beginnen w i r mit dein Bnnd als der Zujammensassnug
von 48 Staaten. I n dcu Senat (zweite Kammer) entsendet
jeder Staat zwei Abgeordnete, Es gibt Zwergstaaten mit
160,0U0 und große Staaten, z. B . New York, mit 15 M i l l i o nen Einwohnern, I m Senat sind die Staaten gleichberechtigt.
Wenn w i r hier iu Österreich i n den Ländern den Kampf
gegen einen gewissen Zentralismus führen, so ist es auch
drüben der Fall. Die amerikanische Bundesverfassung enthält einen Paragraphen, wonach die Förderung der „allgemeinen Wohlfahrt" dem Bunde, also der Gesamtheit der
Staaten, obliegt. Diese Befugnis ist im Lanfe der Geschichte
ausgedehnt worden. Wenn ein nenes Gesetz kommt, entscheidet das Oberste Bundesgericht darüber, ob iu diesem
Falle die Bundesgesetzgcbuug durch die in der Verfassung
verankerte Ermächtigung gedeckt ist.
Großes Gewicht legt der Amerikaner auf die Entwicklung
des Staatsgcfühlcs. I n jeder Schulklasse steht neben dem
Katheder das Sternenbanner. Die Vaterlandsliebe wird in
weitem Umfange gepflegt, anch die Helden des Bürgerkrieges der Jahre 1861 bis 1865) werden auf beiden Seiten
gleichermaßen geehrt nnd geachtet.
I n Washington wurde uns ein netter F i l m gezeigt. D a r i n
war dargestellt, wie Onkel J i m dem kleinen John das Verfassnngsleben erklärt. Zuerst ging er mit ihm auf das Capitol, i n eine Sitzung des Repräsentantenhauses uud des
Senats, er erklärte ihm das Weiße Hans, die Befugnisse des
Präsidenten, der die Gesetze bestätigen müsse oder sein Veto
einlegen könne. Dauu ging es zn den Monumenten Abraham Lincolns und anderer großer Staatsmänner. M i r hat
die Idee sehr gut gefallen, i n leicht faßlicher Form, ohne
trockenes Schriftenmaterial den kleinen Bilden in das
staatliche Leben einzuführen, wobei es noch Instige Bemerkungen gab.
Der Amerikaner ist auf feine Heimat stolz. I c h habe das
am besten bemerkt, als w i r i n New Jork ein Kino besuchten,
das „Cinerama", Welches znm erstenmal den Versuch
machte, einen wirklichen Plastischen F i l m zu bringen. Als
am Schluß die Schönheiten Amerikas gezeigt wurden, hat
mich die Begeisterung der anwesende» ^,nschauer ehrlich
überrascht.
Die Grnndzüge der Gewaltentrennung reichen hiuunler
bis in die Gemeinde. Die Stellung des Bürgermeisters ist
iil den ^8 Staaten verschieden. Bald wird er vom Volke gewählt, bald darf er an den Sitzungen des Gemeinderatcs
teilnehmen oder nicht, bald hat er Stimmrecht, bald keines.
Richter lind Polizeidircktor (Sheriff) werden ebenfalls vom
Volke gewählt, in manchen Städten und Gemeinden anch
der für die Fiuauzgebarnng Verantwortliche „Eomptrroller".
I n manchen (Gemeinden hat der Bürgermeister das Recht,
gegen die Beschlüsse des Gemcinderates ein Velo einzulegen,
so wie der Präsident gegen ein Gesetz Einspruch erheben
kann nnd beide Häuser mit einer Zweidrittelmehrheit dasselbe nochmals beschließen müssen.