Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1950

/ Nr.8

- S.2

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Amtsblatt der LandeoiVnipistadt Innsbruck

raschnngen, nicht nur sur den >tnnslfre»nd sondevn
auch für den Kunstwissenschaftler.
.^. Erstinals wieder sieht nian Teile von. Altarwerten,
die oft schon, seit Jahrhunderten in den ^aminlnn
gcn Mitteleuropas verstreut waren, in ihrer nr
sprünqlichen Anordnung zusaiunienl-zefitqt und in
dcu Zusainiuenhauq der äkunstentlvicklung gestellt,
aus dem sie erwachsen siüd.
lZu 1.) Einige ausgeslicht schöne Beispiele romanischer
Plastik geben den Auftakt für die frühgotischen Werke, in
denen noch die höfische Kunstrichtung der Zeit überwiegt.
Schönstes Beispiel der goldschmiodhaft kostbare Altar uon
Schloß Tirol, der erste Klügelaltar des Abendlandes, Schon
im frühen 15. Jahrhundert gewinnen dann Klöster und aufstrebendes Bürgertum Bedeutung als Kunstförderer sdie
Stifter Slams, Wüten, später Sonnenburg und Reustift,
die Innsbrucker Bürgermeisterfamilie Dorn, die Heuperger
von Hallj. Schon hier wird innerhalb der Prägung durch
den europäischen sog. „weichen" Zeitstil das Tirolische spürbar in der plastischen Verfestigung, in der Charakterisierung,
dem Raumsinn. Wenn man durch die Säle geht, die dem
Marienkrönungsaltar des Hans Judenburg, den Altären
des Meisters uon St. Sigmund, den Tafelbildern des Lienhart v. Briren (die man früher alle einem Jakob Snnter
Zuschrieb) gewidmet sind, so wird gerade im Gegensatz Zu
der ebenfalls dort aufgestellten Erbärmdegruppe aus dem
Storzinger Altar des Schwaben Hans Multscher — die
Welt deutlich, aus der Michael fiacher stammte.
Man hat in den letzten Jahrzehnten die Größe dieses
genialen Meisters erkannt, der ebenbürtig neben Veit Stosi
und Tilman Riemenschnoider steht, aber man sah ihn Zu
sehr als einsam ragenden Gipfel. Gewiß ist er zu Recht der
Mittelpunkt der Missteilung und ihr geistiges Zentrum. Er
ist der Begnadete, der die ßülle der Stammesbegabung in
einer Person Zusammenfaßt, als Schnitzer gleich groß wie
als Maler und als Schreinkünstler, in seiner Kunst zugleich
dem Korden wie dem Süden verpflichtet, Zugleich der Gotik
wie Her Renaissance Zugehörig, verschmilzt er — wie die
„coinciäcntiÄ nppO^itoruin" seines großen Landosbischofs
und ßreundes, des Kardinals Nikolaus uon Lues, — alle
gegensätzlichen Kunstströmungon seiner Zeit aus der Kraft
des Genius Zu höherer Einheit und gültiger Gestalt.
Diese Ausstellung Zeigt nicht nur seine persönliche Entwicklung von der plastischen Deutlichkeit lind witzischen
Durchsichtigkeit der Krühwerke über die entwickelte, beZiehungsreiche Raumkomposition des Kirchenväteraltares —
die nie Selbstwort ist, sondern immer dem geistigen Aildgehalt dient, — bis Zur Reife und Größe der Fragmente vom
SalZburger Dochaltar. Sie Zeigt auch, daß er wohl als
Größter aber nicht als Einziger in feiner Umgebung stand.
Sein Werk war vorbereitet und gleichzeitig mit ihm arbeiten bedeutende durchaus selbständige Künstler wie sein
Bruder F r i e d r i c h p a ch e r, der echt tirolisch plastisch
malt, uon dessen peter-paulsaltar die Linie ausgeht, die Zu
Grünemaid und Zu Dürers Vier Aposteln führt. Person und
Werk des M e i s t e r s u o n A l t e n he i m geben noch
viele Rätsel auf, weil neben plastisch-klaren, würdevoll ruhigen Gestalten Tafeln ausgesprochener malerischer Art, ja
rembrandtischer ßarbigkeit stehen, wie die Stefanuslcgende
aus Moulins und die Neustifter AugustinussZenen. Vielleicht war hier schon sein und pachcrs großer Schüler
M a r r R e i ch I i ch am Werk, „der größte Kolorist um
1500", der Altendorfer und Eranach entscheidend beeinflußte. Wildbemegte lind mit innerer Spannung geladene
passionsszenen stehen neben ruhigen Erzählungen im Rah>
men von Tiroler Straßenbildorn und Landschaften. Vei ihm
ist die Landschaft Zum erstenmal ausgesprochener Stimmungsträger, ein bedeutsamer Schritt, durch den Reichlich Zum Vater der sog. „Donauschule" wird. Die Werke aller

dieser - bisher Zu Anrecht kaum bekannter
Meister
sind mm Zum erstenmal fast vollständig Zusammengetragen
mid geben ein überaus eindrucksliolles Bild ihrer Person
lichkeit.
Werke der Marimilianszeit bilden den Ausklang - u. a.
Altarbilder des bisher nur als Bildnismaler bekannten
Hans Maler von SchwaZ und die köstlichen Reliefs vom
Goldenen Dach!. Inmitten ihrer ausgesprochen bürgerlichen
Haltung noch einmal die höfisch kostbare Kunst des M e i s t e r s de r H a b s u u r g e r, der sich mit allen bedeutenden Künstlern seiner Zeit schöpferisch auseinandersetzt. Aus
den Porträts des M e i s t e r s d e s
Angererbildn i s s e s schaut uns dann bereits im vollen Selbstbewußtsein des neuen, ganz der Erde Zugewandten Zeitalters der
Moderne Mensch an.
I n der nachpachsrischen Plastik eines Hans Klocker und
anderer verebbt die monumentale Gesinnung lind Größe
der Gestaltung, die sich noch Z. B. in der Serfauser Anbetungsgruppe Zeigt, rasch ins Zierliche, Spielerische, Vielfiglirige lz. N- Traminer Altars und mündet damit wieder
in eine hochentwickelte Volkskunst ein, wie sie etwa die
Krippenschniherei darstellt. Sie kehrt damit Zu ihren Ursprüngen Zurück, denn es ist die Hochentwickelle Handwerkskunst von Generationen von Bauernschnitzern und -Malern,
— alis der Ausstellung Z. B. vertreten durch den kiinstuollon
Ehorstuhl uon Annenberg und die ßastentüchcr von Rieh
und Obervintl — der ein Michael pacher das Rüstzeug Zu
seinen Meisterwerken verdankte.
Da überrascht plötzlich noch einmal ein ganz großer
Wurf: die lebensgroße Slberggruppe aus M i l s lenita!!,
die einst mit Veit Stoß und Dürer in Verbindung gebracht,
seit 100 Jahren aber im Dunkel einer Altarnische völlig
vergessen, zum Ergreifendsten und Schönsten gehört, was
die spätgotische Plastik in Europa geschaffen hat. I n der
Monumentalität der Gesinnung lind der vertieften persönlichen Charakteristik ist sie nur mit den besten ßigliren des Ma«
rimiliangrabes in Innsbruck vergleichbar.
Aber auch andere, beZaubernde Entdeckungen gibt es.
Wer kannte das kostbare Distichon mit der Leidensgeschichte Christi aus der Churburg, wer die Verkündigungsgruppe aus Schloß Auffenstein, wer die innigen Andachtstäfelchen aus Kloster Slams, wer sah je die Tafeln des
Attenhoimers aus Moulins im Original, wer das eigenartige Defensorium Mariae aus Slams oder die großen
Apostel und Marienaltarflüge! aus Stift Wilten, die ebenso
wie der nonaufgefundene pachersche Sebastian erst durch
die Restaurierung ihre urprüngliche Schönheit wieder erhielten.
Die kuustgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte —
angeregt besonders von Wilhelm pinder — hat in diesem
Zu Anrecht vernachlässigten Gebiet der Tiroler Gotik viele
Lücken gefüllt — fie hatte Z. B. u. a. allein für das kleine
Südlirol über 200 Altarwerke nachgewiesen — aber nur wenig uon diesen Kunstwerken war im Lawde geblieben. Das
meiste war in Zeiten künstlerischen Unverständnisses oder
der bitteren Rot abgewandert, verschachert worden. Das
LinZigartige dieser Ausstellung ist es nun, daß sie die in
den
verschiedensten
europäischen
Sammlungen
verstreuten
Teilstücke
solcher
Werke
wieder
zur
ursprünglichen
Einheit
zusammenfügt
und
so dem
Betrachter
erft
ihren
wirklichen
Sinn
und
Wert
offenbart. Jedes gute Bild, jede gute Plastik vormag natürlich auch für sich allein zu wirken- aber erst in dem Zusammenhang des Gesamtwerkes, für den es geschaffen wurde,
iu der Vielfall der Bezüge von Komposition, Linienführung,
Harbe lind Sinngehalt, die das eigentliche Wesen eines
Kunstwerkes ausmachen, können uns die Bildwerke ganz
ergreifen, wird sein künstlerischer Rang richtig verstanden
und bewertet werden. Der Gedanke, daß diese beglückende
Einheit nach Schluß der Ausstellung wieder Zerstört werden wird, hat geradezu etwas Bedrückendes.