Stadtnachrichten

Jg.1992

/ Nr.5

- S.38

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Christoph Scheiner:
Mathematiker, Physiker,
Astronom und Jesuit
Von Dr. Univ.-Doz. Franz Daxecker
Erzherzog Maximilian, der Deutschmeister, erhielt 1615 ein Fernrohr, das für ihn den großen Fehler hatte, daß es alle Gegenstände
verkehrt darstellte. Der damals
schon sehr bekannte Astronom
Pater Scheiner in Ingolstadt wurde gerufen, verbesserte das Instrument und der Erzherzog konnte
fortan die irdischen Dinge aufrecht betrachten.
Christoph Scheiner wurde am 25.
Juli 1575 in Wald bei Mindelheim
in Schwaben geboren und trat
1595 in Landsberg am Lech in
den Jesuitenorden ein.
Die Erfindung des Fernrohres war
damals bedeutsam für den Fortschritt in der astronomischen und
physikalischen Forschung. 1611
entdeckte Scheiner die Sonnenflecken, die er 1612 in "De maculis solaribus" veröffentlichte. Es kam deswegen zu einem unerfreulichen Prioritätsstreit zwischen ihm und Galilei. Spätere
Forschungen konnten feststellen, daß die
Sonnenflecken innerhalb weniger Jahre
von mehreren Astronomen unabhängig
voneinander entdeckt wurden. Seine Beobachtungen über die elliptische Gestalt

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Christoph Scheiners Buch "Oculus", 1619 in
Innsbruck von Daniel Bauer gedruckt. Es wird
in der Universitätsbibliothek aufbewahrt.

Christoph Scheiner SJ auf einem zeitgenössischen Gemälde, das im Stadtmuséum von Ingolstadt aufbewahrt
wird. Die Sonnenstrahlen projizieren
durch das Teleskop das Bild der Sonne
auf einen Schirm. In der linken Hand
hält Scheiner eine Zeichnung mit Sonnenflecken .
(Repro: Stadtarchiv Ingolstadt)

der Sonne beim Aufgang und Untergang
legte Scheiner in der Schrift "Sol ellipticus" nieder, die er 1615 dem Erzherzog
Maximilian widmete. Ab 1616 war Scheiner Berater, zuerst beim Erzherzog Maximilian, nach dem plötzlichen Tod Maximilians 1618 hatte er beim Nachfolger, dem
Erzherzog Leopold V. dieselbe Stellung
inne. 1619 erschien sein Buch "Oculus.
Hoc est fundamentum opticum", das sich
mit der physiologischen Optik des Auges
beschäftigt. Er erkannte die Bedeutung der
Akkomodation - der Einstellung des Auges auf Ferne und Nähe -, stellte Versuche
über die Strahlenkreuzung im Auge an,
beobachtete die Verengung der Pupille
beim Sehen in die Nähe und beschrieb die
Netzhaut als Ort der Abbildung. Der
Scheiner"sche Versuch dient noch heute
zum Nachweis der Fehlsichtigkeit.
Scheiner leitete den Bau der Jesuitenkirche in Innsbruck, die 1626 teilweise einstürzte. Der Wiederaufbau der Kirche erfolgte am Platz hinter der Einsturzruine,
wodurch der heutige Karl-Rahner-Platz
entstand. Nach kurzer Zeit in Freiburg und
in Neisse war Scheiner ab 1624 in Rom,
wo er fruchtbringende Studien betrieb.
Dort entstand 1630 sein Hauptwerk "Rosa

STADTNACHRICHTEN - MAI 1992

ursina sive sol" - ein bedeutsames Werk
über die Sonnenflecken. Scheiner vertrat
den Grundsatz vom Primat der Beobachtung: "Gegen eine einzige wahre Beobachtungstatsache haben tausend spitzfindige
Argumente keinen Wert." 1633 war Scheiner von Kaiser Ferdinand nach Wien
zurückberufen worden, er kehrte 1636
nach Neisse zurück, wo 1650 ein Schlaganfall seinem arbeitsreichen Leben ein Ende setzte.
Scheiner gehört ohne Zweifel zu den bedeutendsten Naturwissenschaftlern des 17.
Jahrhunderts. Er vereinigte praktische Geschicklichkeit im Bau von Instrumenten
mit Beobachtungsgabe; durch seine naturwissenschaftliche Forschung erwarb er
sich die Gunst vieler katholischer Fürsten
und hatte durch seine Stellung zur Ausbreitung seines Ordens beigetragen. In seiner Kosmosinterpretation hing er weiterhin dem geozentrischen System an und
nicht der kopernikanischen und gallicisehen Hypothese, nach der die Erde um
die Sonne kreist. Vielleicht erlaubte ihm
seine geistliche Stellung und die noch in
den Anfängen stehende Naturforschung
nicht, vorbehaltslos die neue Theorie zu
vertreten.


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