Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1934

/ Nr.12

- S.3

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Amtsblatt Nr. 1
Seit dem provisorischen Gemeindegesetz vom Jahre
1849 unterscheidet man einen selbständigen und einen
übertragenen Wirkungskreis. Art. V des Reichsgemeindegesetzes bezeichnet als selbständigen Wirkungskreis jenen, „in welchem die Gemeinde mit Beobachtung der bestehenden Gesetze nach freier Selbstbestimmung anordnen und verfügen kann" und reiht in ihn
alles, „was das Interesse der Gemeinde zunächst berührt und innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte
besorgt und durchgeführt werden kann". Dieser allgemeinen Begriffsbestimmung folgt eine beispielsweise
Aufzählung verschiedener Geschäfte, die die Führung
des Gemeindehaushaltes, die Ordnung der inneren Angelegenheiten des Gemeindeverbandes und die Regelung aller ortspolizeilichen Angelegenheiten zum I n halte haben. Hier kommt der Gemeinde Autonomie im
wörtlichen Sinne zu.
Sie hat das Recht, innerhalb der durch das Gesetz gezogenen Schranken eigene Abgaben und Zuschläge
festzusetzen, Vorschriften für die Führung der städtischen Aemter. Betriebe und Anstalten und für die
Benützung öffentlicher Einrichtungen zu beschließen
und auf dem weiten Gebiete der Ortspolizei, d. h.
nicht nur der örtlichen Sicherheitspolizei, sondern
auch auf dem Gebiete der Straßen-, Verkehrs-, Le
bensmittel-, Markt-, Maß- und Gewichts-, Gesundheits-, Sittlichkeits-, Armen-, Bau- und Feuerpolizei
allgemein gültige Gebote und Verbote zu erlassen.
I n anderen Staaten sind viele Geschäfte des selbständigen Wirkungskreises der österreichischen Gemeinde ausschließlich staatlichen Organen vorbehalten. Kennzeichnend für die österr. Auffassung der Freiheit der Gemeinde ist es, daß die Gemeinde einerseits ermächtigt ist,
für den Staat nach freiem Ermessen Geschäfte zu besorgen, anderseits aber in Vertretung eigener wirtschaftlicher und politischer Interessen gegen den Staat auftreten kann. Der Verwaltungsgerichtshof entschied
selbst, daß die Gemeinde das Recht der freien Meinungsäußerung wie jeder Staatsbürger habe. Von diesem Recht machten die Gemeinden auch Gebrauch, ohne
daß sie von den Regierungsbehörden daran gehindert
werden konnten: allerdings kamen sie hiedurch bei den
Zentralstellen in den Geruch der Unbotmäßigkeit. Auch
der Innsbrucker Vürgerausschuß, später Gemeinderat
genannt, ist, wie in Fischnallers Chronik mühelos nachzulesen ist, wiederholt mit politischen und wirtschaftlichen Protesten gegen die Regierung aufgetreten. Die
Staatsverwaltung kann nach dem Reichsgemeindegesetz
das Aufsichtsrecht über die Gemeinden nur dahin ausüben, daß diese ihren Wirkungskreis nicht überschreiten und nicht gegen die bestehenden Gesetze vorgehen;
eine Ueberprüfung der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns der Gemeinde steht ihr im allgemeinen nicht zu. Die Geschäfte des eigenen Wirkungskreises dürfen den Gemeinden grundsätzlich nicht abgenommen werden. Die Gemeinde hat ein Recht auf die
Besorgung dieser Aufgaben. Nur bestimmte Geschäfte
der Ortspolizei können, wenn es höhere Etaatsrücksichten erfordern, in einzelnen Gemeinden staatlichen Organen zugewiesen werden. Neben dem selbständigen
Wirkungskreis fällt der Gemeinde der übertragene zu,
der die Verpflichtung — nicht das Recht — der Gemeinde zur Mitwirkung in der Erfüllung bestimmter
staatlicher Verwaltungsausgaben enthält. I m selbständigen Wirkungskreise handelt die Gemeinde innerhalb
der gesetzlichen Grenzen nach freier Selbstbestimmung.

im übertragenen nach den Weisungen der übergeordneten Stellen. Die Geschäfte des übertragenen Wirkungskreises können von der Regierung jederzeit ganz oder
teilweise staatlichen Organen übertragen werden.
Die vorstehenden Ausführungen Zeigen den Inhalt
der Autonomie, wie er sich aus dem Reichsgemeindegesetz vom Jahre 1862 und aus den auf diesem Gesetze
beruhenden Landesgesetzen ergibt, also wie er w a r .
Mit der republikanischen Bundesverfassung trat manche
Aenderung ein. Vor allem ist die hin und wieder vertretene Anschauung wissenswert, daß bei demokratischer
Verfassung die Autonomie der Gemeinde in der überkommenen Form der Berechtigung entbehre. Autonomie
wird nur als Freiheit von der in den Händen kaiserlicher Behörden liegenden Zentralgewalt und nicht
schlechthin als Unabhängigkeit von jeder Regierungsgemalt verstanden. Ihre Notwendigkeit in der Demokratie wird verneint, da die obersten Organe vom Volke
gewählt und vom Vertrauen der Volksvertretung abhängig sind. Schon der Bundesverfassung v. Jahre 1920
ist der selbständige Wirkungskreis der Gemeinde fremd.
Sie teilt alle staatlichen Aufgaben ausschließlich zwischen
Bund und den Ländern auf. Die Gemeinden werden
wohl als selbständige Wirtschaftskörper erklärt, die das
Recht haben, Vermögen zu erwerben und zu besitzen,
Unternehmungen zu betreiben, ihren Haushalt selbständig zu führen und Abgaben innerhalb der gesetzlichen
Schranken einzuheben, im übrigen aber wird der Gemeinde an Stelle der im Art. V des Reichsgemeindegesetzes beispielsweise aufgezählten Verwaltungsgeschäfte
des eigenen Wirkungskreises nur „ein Wirkungsbereich
in 1. Instanz" verheißen. Die weitere Entwicklung zeitigte nur Einschränkungen des Selbstverwaltungsrechtes. Das Finanzverfassungsgesetz und das Abgabenteilungsgesetz in ihren verschiedenen Auflagen lassen der
Gemeinde für die freie Beschlußfassung über die EinHebung von Abgaben und Gebühren nur ein sehr kleines
Betätigungsfeld, aus dem Kreise der der Gemeinde
früher ausdrücklich vorbehaltenen Angelegenheiten wird
eine Reihe dem Aufgabenkreise des Bundes zugezählt.
Dem Bunde werden über die Führung der örtlichen
Sicherheitspolizei ein besonderes Aufsichtsrecht, die
Mängelrüge und das Recht der Entsendung von I n
spektionsorganen eingeräumt. Hier sei an die Entsen-"
dung eines Ministerialbeamten zur Untersuchung der
Innsbrucker Vorfälle vom 19. November 1933 erinnert,
die den Gemeinderat die Veschneidung der Unabhängig,
keit der Gemeinde vom Staate inne werden ließ. Weiters wird die Gebarung aller größeren Gemeinden der
Ueberprüfung durch den Rechnungshof unterworfen. Da
die Ueberprüfung sich nicht nur auf die ziffernmäßige
Richtigkeit, sondern auch auf die Wirtschaftlichkeit und
Zweckmäßigkeit der Gebarung zu erstrecken hat. unterliegen alle Beschlüsse des Gemeinderates oder Verfügungen des Bürgermeisters, die irgendwie geldliche Auswirkungen haben, der Kritik eines staatlichen Organes.
Dies ist, in groben Umrissen gezeichnet, der Stand der
Autonomie vor Beginn der autoritären Führung des
Staates.
Bei der Stärke des Verlangens nach starker Staatsgewalt nach den Februarereignissen d. I . war zu befürchten, daß die neue Verfassung die Autonomie der
Gemeinde noch weiter, vielleicht bis zur Bedeutungslosigkeit mindern werde. Diese Sorge war grundlos. Das
8. Hauptstück der Mai-Verfassung, das nun als Grundsatzgesetz die Rolle des Reichsgemeindegesetzes vom
Jahre 1862 zu übernehmen hat, wahrt die Grundrechte