Innsbruck Informiert

Jg.2021

/ Nr.2

- S.30

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Weltkriegs, in denen sich Ausnahmesituationen mit banalen Alltagssituationen
in rascher Folge abwechselten.

Eine Einheit der
US-Army etablierte
ihr Hauptquartier
im Hotel Maximi­
lian in Igls.

© STADTARCHIV/STADTMUSEUM (2)

Diktatur und Schrecken

6. Mai 1933: Sicherheitskräfte gehen gegen eine NS-Demonstration in der Wilhelm-Greil-Straße vor. StAI, Slg. Gottfried Newesely.

Innsbruck zwischen
1933 und 1950
Anlässlich des Gedenkjahres 2020 beleuchtet ein neues Buch des
Stadtarchivs verschiedene Aspekte der Innsbrucker Zeitgeschichte.
Der thematische Bogen spannt sich von der Politik- und Verwaltungsgeschichte bis hin zur Alltags- und Kriminalgeschichte.

Tatsächlich steckte im Frühjahr 1945
wohl den meisten InnsbruckerInnen der
Schrecken in den Knochen. Für manche
hatte er bereits 1933 mit dem Aufbau einer Diktatur durch Engelbert Dollfuß begonnen. Für andere wiederum, darunter
insbesondere die jüdische Bevölkerung
Innsbrucks, hatte er mit dem ‚Anschluss‘
im März 1938 seinen Anfang genommen. Mit dem Überfall auf Polen entfesselte das NS-Regime ein Jahr später den
Zweiten Weltkrieg. Zunächst fanden die
Kampfhandlungen in großer Entfernung
von Innsbruck statt. Der Schrecken traf
die Menschen an der sogenannten Heimatfront zunächst individuell in Form
der Todesnachrichten ihrer Ehemänner, Väter, Söhne, Brüder, Verwandten
und Freunde. Spätestens mit den ersten beiden Luftangriffen auf Innsbruck
am 15. und 19. Dezember 1943 wurde
der Schrecken für die Menschen in der
Stadt zu einer kollektiven Erfahrung. Bei
den insgesamt 22 Luftangriffen auf Innsbruck verloren rund 500 Menschen ihr
Leben, unzählige wurden verletzt, mehr
als die Hälfte aller Gebäude wurden zerstört oder beschädigt.

Befreiung von der NS-Herrschaft
Am 3. Mai 1945 notierte eine Innsbruckerin in ihr Tagebuch: „Gott sei gelobt! Das
Naziregime hat ein Ende. Nach Stunden
langer Erwartung endlich gegen 4h [sic]
im Rundfunk die Nachricht: ‚Österreicher, Tiroler wir sind wieder frei! Waffenstillstand seit 14h. Die Regierung in der
Hand der österreichischen Widerstandsbewegung!‘ […] Um 8h abends Einzug der
amerik. Voraustruppen. Die Fenster in den
österr. Farben geschmückt. Es kommt einem fast unfaßbar vor, daß wir das noch
erleben durften.“ Mit der Befreiung durch
die US-Amerikaner am 3. Mai 1945 endeten zwar die NS-Herrschaft und der Krieg
für die InnsbruckerInnen endgültig, das
Trauma ließ viele aber nicht so schnell los,
manche begleitete es ein Leben lang.
Dabei darf und soll nicht übersehen werden, wo diese Schrecken ihren Ausgang

von Matthias Egger

D

er damals 16-jährige Innsbrucker
Schneider­lehrling Bernhard Egger
(1928–2019) schildert in seinem
Tagebuch seine Erlebnisse beim 17. Luftangriff auf die Stadt am 14. Februar 1945:
„Heute haben wir Innsbrucker eine neue
Kampfart d. Amerikaner gespürt: ‚Tiefflieger‘. ‚Etwas Scheußliches.‘ Ich bin am
Weg zum O-Bus, triff den Amareller Walter und sagt [er] mir, einige Kampfmaschinen im Anflug auf d. Vorwarnbereich
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INNSBRUCK INFORMIERT

[…]. Auf einmal hört man Motorengeräusch, da kommen 4 Flugzeuge v. Südwest angeflogen. Nur in kl. schwarzen
Punkten sichtbar und fangen an zu kreisen, der Walter sagt die kommen auf uns
zu; ich geh und er läuft in den Schretterblock. Da auf einmal stürzen die 4 Flugzeuge eins nach dem anderen herunter, immer größer werden die Flugzeuge
und so schnell ging das in paar Sekunden war[en] die herunten. Da hat es aber

schon gekracht. Ich bin gerade noch in
ein Haus hineingerutscht. ‚Scheußlich‘
in der Nähe d. Bunkers. Das war um ¾ 10
Uhr Vormittag. Liebes Tagebuch verzeih
diese Schrift, aber mir steckt der Schreck
noch in allen Knochen. Noch immer wackelt die Feder in meiner Hand.“
Dieser kurze Tagebuchauszug liefert eine
eindringliche Momentaufnahme aus
dem Leben der Innsbrucker Zivilbevölkerung in den letzten Monaten des Zweiten

Matthias Egger (Hrsg.)
„… aber mir steckt der Schreck
noch in allen Knochen.“
Innsbruck zwischen Diktatur,
Krieg und Befreiung 1933–1950.
Veröffentlichungen des Innsbrucker
Stadtarchivs, Neue Folge 71
Innsbruck 2020

genommen haben. Sie brachen nicht
wie eine Naturkatastrophe aus heiterem
Himmel über die Menschen herein. Vielmehr nahmen sie ihren Ausgangspunkt
im Aufstieg des autoritären „Ständestaates“ und des Nationalsozialismus. Beide
konnten auf aktive oder zumindest passive Unterstützung in der Bevölkerung
bauen. Auch InnsbruckerInnen waren an
den Verbrechen der Nationalsozialisten
beteiligt und viele profitierten bis in die
Spätphase des NS-Regimes direkt oder
indirekt von diesen.

Erinnerung an die Schrecken
Wenn auch heute die Zeitzeuginnen und
Zeitzeugen immer rarer werden, können doch viele die Schrecken der Jahre
1933/38 bis 1945 noch in ihren Familien greifen. Sei es als dunkle Schatten, sei
es in Form von Erzählungen, Fotografien, Briefen und Tagebüchern oder auch
in der aktiven Auseinandersetzung mit
den Erfahrungen und der individuellen
wie kollektiven Verantwortung der Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern. Man
kann sie aber auch an einzelnen Häusern
entdecken, etwa an den Luftschutzmarkierungen am Haus Erzherzog-EugenStraße 17. Sie haben sich in das Stadtbild
eingebrannt und das Stadtleben für immer verändert. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dieser Zeit auch heute
noch, 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, relevant; zumal immer
wieder neue Quellen auftauchen, HistorikerInnen neue Fragen an die Vergangenheit richten und so neue Erkenntnisse gewinnen.
INNSBRUCK INFORMIERT

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