Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1960

/ Nr.1

- S.2

Suchen und Blättern in knapp 900 Ausgaben und 25.000 Seiten.





vorhergehende ||| nächste Seite im Heft

Zur letzten Suche
Diese Ausgabe – 1960_Amtsblatt_01
Ausgaben dieses Jahres – 1960
Jahresauswahl aller Ausgaben

Dieses Bild anzeigen/herunterladen
Gesamter Text dieser Seite:
Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
uniudigkcit (Beruf) und besondere Interessen solvie Freizcitgestaltuug des ehemaligen Hilfsschülcrs.
Pedevilla nahm die Jahrgänge 1!>l2 bis l!»37 zur Uutersuchuug vor. Von diesen besuchten 3! < .Knaben nnd lli^l Mädcl>en, zusammen -1^2 Binder, in den Jahren l!>-"4 bis 1Ü37 die
Hilfsschule. M i t dieser Auswahl konnten Menschen getroffen
werden, die schon längere Zeit im Berufe stehen oder doch sich
für einen entschieden haben nnd in einer Lehre stehen. Von
der (Gesamtzahl dieser Jahrgänge waren nnr 1^0 im Ttadtbereiche Innsbruck aufzufinden, nnd diese 1KN (NO Mä.nuer,
7<» Fraucu) kamen als UntcrsuchungSobjctt iu Frage. Tie
stellen einen einwandfreien durchschnitt dar, mich Vertreter
aller sozialen Schichten fanden, sich darunter. Die Jahrgänge
192!", 1930, 1933 nnd 1934 waren am stärksten vertreten (je
10 bis 20). Das überwiegen des männlichen Geschlechtes —
durchschnittlich 6l) zu 4<1 — ist eine bei Hilfsschüleru überall
auftretende Erscheinung, dereu Ursache bisher nicht eiuwaudfrei geklärt werden kcmute. Prof. Friedrich Stumpft
meint, daß Schwachsinn beim weiblichen Geschlecht nicht so
leicht bemerkt wird oder überhaupt weuigcr auffällt. Pedevilla hält dagcgcu, daß die Meldung des .lindes von feiten
der Volksschule und das gewissenhafte Anfnahmevcrfahren in
der Hilfsschule den Eindruck ciuer Schcinintelligenz berhindern. Er meint, daß Mädchen intensiver als Knaben auf dcu
Uuterricht eingestellt sind und sie die geringe Intelligenz mit
größcrem Fleiß kompensieren. Die Erhebungen zeigen, daß
das mehr zur Passivität neigende Mädchcnnaturcll, dessen
A r t mehr „Willigkeit" und weniger „ W i l l e " ist (Nietzsche),
stärker gefährdet und sein Versagen häufiger sei, „da nicht
mehr der fördernde Einfluß der Schule uud iu güustigcu
Fällen des Elternhauses das Übergewicht hat, sondern der
des Lebens. Vou daher ist es auch verständlich, daß wir unter
unseren Probanden mehr weibliche als männliche Beispiele
haben, die iu sittlicher Hinsicht einen abgleitenden Lebenslauf aufweisen".
Tabellarisch hat Pedevilla auch die Dauer des Hilfsschulbesuchcs festgehalten. Nur ein J a h r Hilfsschulbcsuch weisen
I l Fälle sich auch gewissenhaft die Frage vor, ob anch der kurzfristige
Hilfsschnlbesnch berechtigt war nnd ob diese Einweisungen
nicht fehl am Platze gcwcscu waren. I m Gegensatz zu den
schon erwähnten Wiener Untersuchungen vom Schuljahre
195> wurden, die mehr als drei Jahre in der Hilfsschule verweilten, kommt Pedevilla zu dem Schluß, daß selbst eiu einjähriger Besuch der Hilfsschule berechtigt war. Er ist der
Meiuung, daß unter dcu 180 uutersuchtcu Fällcu nnr vier
möglicherweise nicht iu die Hilfsschule gehört hätteu, doch
betont er, daß ihn: eindeutige Fchlcinwcisuugeu wegen mangelnder Hilfsschulbcdürftigkeit nicht begegnet seien. „Hingegen gibt es solche ehemalige Hilfsschüler, die deshalb nicht
in die Hilfsschule gehört hätten, weil weder ihre psychischen
Leistuugsfähigkeiteu uoch ihre physische Orgauisation deu
Auforderuugeu, die die Hilfsschule au sie stellen muß, gewachsen wareu."
Zur Bcgriindung der Einweisung lassen wir Probanden
selbst sprechen: „ I c h bin iu der Volksschule nicht mitgekommen." „ I u der Volksschule war es für mich zu schwer." „ I c h
war auch körperlich zu schwach." „ I c h kauu mir ciufach nichts
merkeu." „ I m Rechnen ging es uicht." Pedcvilla mißt dem
Bekenntnis zum Defekt eine außerordentlich große Beden!>>ng zu. Nach Pedevilla befinden sich in der Hilfsschule solche
Kinder, „die infolge gewisser geistiger Mängel in der Normalschnle nicht mitkommen. Es handelt sich einmal um Kinder,
deren Versagen in mangelnder geistiger Anlage begründet
ist, in der Hauptsache in intellektueller Schwäche. Es sind
uicht gewöhnlich dumme, sondern Minderbegabte Kinder".
Daneben gibt es Kinder, die Pseudoschwachsinnig und seelisch
gehemmt sind. Die Pscndodcbilität führt Pedevilla mehr aus
das Fehlen des Trainings der intellektuellen Funktionen zu-

Numincr l

rück. Auch die schwierige Umstellung nud Anpassung au ueue
Situationen bringt manche Kinder iu die Hilss>ll>ule. Am
typischen Beispiel von vier Kindern, deren Familie ans Tüdtirol heransgcsicdclt ist, wird dies aufgezeigt. (Liner
davon ist hcntc Tchncidermcister, ein anderer Schnhmachergcselle und der drille Tapezierer. Der Schneidermeister sagt heute:
„ T i c Lehrpersonen der Hilfsschulc habcn sich wirklich um uns
gekümmert nnd geplagt. Ich muß schou sageu: Hut ab vor
ihnen, sie haben es uicht leicht." Das vierte Hilssschulliud
dieser Familie erzählte, ,/daß sie jeden Morgen wciute,
wenn sie zur Schule mnßte, weil sie so viel Angst hatte. Erst
in dcr Hilfsschulc kouuteu diese Komplexe allmählich wieder
geheilt wcrdeu. Das so eiugcschüchtcrtc Kiud war überrascht,
als mau dort ,uctt" zu ihm war und es auch ab uud zu lobte".
Das Mädchcu traf es sehr schwer, als es nach zwei Jahren
wieder in die Normalschnle zurück mußte, da die Hilfsschule
aufgelöst wurde. I h r Selbstvertrauen war aber in der Hilfsschule zurückgcwouueu uud gefestigt, die Angst- uud Minderwertigkeitskompler,e geheilt worden, so daß es jetzt auch in
der Volksschule besser ging. Pcdcvilla erzählt weiter von dcr
Probandin: „Sie denkt aber heute uoch als glücklich verheiratete Frau und Mntter in kindlicher Verchruug an ihre
Lchrpcrsonen in der Hilfsschule uud ist überzeugt, daß sie nur
ihncn die Kraft zu ncncm Lebensmut und zur rechten Lebensfreude als Frau uud Mutter vou zwei gesuudeu Kindcru
verdanke."
Pedevilla überlegt weiter: „ E i n so anhänglicher junger
Mensch, der anch in seinem erwachsenen Leben noch deutliche
^ügc starler Aulchnungsbcdürftigkcit erkennen läßt, kann
in dcr Normalschule nnr bei ganz individueller Behandlung,
wie es das Klassenniveau nicht zuläßt, uud bei Zuwendnug
allzu vieler Hilfen bcstcheu. Allzuviel deshalb, weil auch hier
der ticfcnpfychologischcn Erkcnutuis gefolgt werden muß, die
lehrt, daß bei Gewährung übermäßiger Hilfeleistungen in
jnngcn Menschen notwendig Minderwertigkeitskomplexe erzeugt werden.
M i t diesen Beispielen sollte gezeigt werden, wie maunigfaltig die Formen dcr HilfSbcdiirftiglcit uud die Ursachen
dcr Einweisung sein tonnen, aber wie sehr auch die Hilfsschule ihrer Aufgabe gerecht wird uud wie müßig die Snche
nach Pscndodcbilcn nnter ihren Schülern ist, wenn dies mit
der Absicht geschieht, solche als Fehleingcwicscne zu bezeichnen, nachdem die Einweisung doch auf Grund gewissenhafter
Prüfung erfolgt."
E i n anderes Mädchen mit einjährigem Hilssschulbesnch
war Kindergärtnerin und ist hente Handarbeitslehrerin.
Pedevilla bespricht diesen Fall wie alle ähnlichen sehr eingehend uud kommt dabei zu folgendem Ergebnis: „Es ist nicht
zu bczwcifclu. daß die Arbeit der Hilfsschule Positiv war, dies
um so mehr, wenn die Aussagen der Hilfsfchullchrcriu richtig
find, daß das Kind das ganze Jahr brauchte, um das gestörte seelische Gleichgewicht wieder zu gewiuueu. Dabei
kommt der liebevollen Behandlung des Kindes größte Bedcninng zu, weil sie mit Gegenliebe und Vertrauen beantwortet wurde. Hörtcu wir doch, daß es die Lehrpersonen
,recht gern" hatte."
Bei den Uuterrcduugcu mit dcu chemaligcu Hilfsschüleru,
die Pedevilla auläßlich seiner Erhebungen Halle, gaben na
türlich die meisten Probanden ein Urteil über die Hilfsschule
ab, zumindeslens änßcrtcn sie sich darüber, ob sie gern
oder nngcrn dort waren. Pedevilla schreibt: „Von den 1^0
ehemaligen Hilfsschülcrn nnd -schülerinnen haben l l die
Zweckmäßigkeit ihrer Einweisung iu die Hilfsschule verneint.
Nnr iu insgesamt vier Fällen kann eine Fchlcinwei>uug au
genommen werden, sie sind nntcr den I I dabei. I u allen
übrigen Fällen läßt sich die Nichtigkeit der Einweisung schou
im Bereich des Tchnlischen und dann noch durch ciuen Ausblick iu das Berufs uud Erwachscneulebeu eindeuliq nach«
weisen.
Die VcrmuUlug dcr Fchlciuwcisnug schließ! iu diesen
!! Fällen das Beleuulius zum Defell teilweise oder gauz