Innsbruck Informiert

Jg.2017

/ Nr.3

- S.58

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Stadtgeschichte

Herberge dringend gesucht
Als der Ungarn-Aufstand 1956 blutig niedergeschlagen wurde, flüchteten
180.000 Menschen nach Österreich, unter ihnen zahlreiche unbegleitete
Minderjährige. Viele kamen nach Innsbruck und fanden hier eine neue Heimat.
von Susanne Gurschler

D

ie Demonstranten, die am 23.
Oktober 1956 über den JosefBem-Platz Richtung Parlament
bzw. Rundfunkgebäude marschierten,
waren voller Hoffnung. Sie marschierten
für ein Ende des Einparteiensystems.
Sie wollten freie Wahlen, Meinungs- und
Pressefreiheit. Sie wollten Demokratie.
Und sie hofften, die Regierung würde
auf ihre Forderungen eingehen. Doch sie
irrten sich. Wenige Tage später rollten
russische Panzer über die Grenze und
der Volksaufstand in Ungarn wurde blutig niedergeschlagen.

Flucht nach Österreich

© STADTARCHIV/STADTMUSEUM INNSBRUCK (2)

200.000 Ungarn flüchteten daraufhin,
der Großteil nach Österreich. Unter den
Schutzsuchenden waren zahlreiche unbegleitete Minderjährige. Dank einer
Hilfsaktion, die von der Marianischen
Kongregation (MK) in Innsbruck initiiert

wurde, kamen viele dieser Kinder und
Jugendlichen nach Innsbruck.
Die nach Österreich Geflüchteten wurden zunächst in Sammellagern wie
Traiskirchen versorgt und dann auf die
Bundesländer verteilt – nach Tirol allein
bis Dezember 1956 mehr als 5.600 Personen. Nicht alle blieben, viele emigrierten später weiter, u. a. nach Amerika. Als
der Innsbrucker Jesuit Georg Szentkereszty, der 1949 selbst aus Ungarn geflohen war, erfuhr, dass sich in den Sammellagern viele Kinder ohne Begleitung
fanden, bat er Eltern von MK-Jugendlichen, ungarische Kinder und Jugendliche bei sich aufzunehmen.
Zusätzlich gab es Aufrufe in den regionalen Medien. So stand in den „Tiroler
Nachrichten“ vom 26. November 1956
unter dem Titel „Wer nimmt ungarische
Mittelschüler auf?“: „Bisher konnten in
Innsbrucker Familien ungefähr 70 unga-

rische Mittelschüler oder -schülerinnen
untergebracht werden. Wir suchen weitere Familien, die solche Jugendliche aufnehmen können.“ Umrahmt von einem
Beitrag, in dem es um die historisch enge
Verbindung zwischen Ungarn und Tirol
ging. Insgesamt meldeten sich rund 110
Familien, erinnerte sich Szentkereszty in
Alexandra Haas" Buch „Ungarn in Tirol.
Flüchtlingsschicksale 1945–1956“. Um
die Übersiedlung zu beschleunigen, fuhren Helfer auf eigene Faust los und brachten die Schutzbedürftigen direkt aus den
Lagern nach Tirol. Privatpersonen spendeten Geld, Lebensmittel und Kleidung.
Innsbrucker Wirtschaftstreibende unterstützten die Aktion mit finanziellen und
Sachmitteln, gaben Rabatte auf Einkäufe.
Das war dringend nötig. Denn als sich in
den Lagern herumsprach, dass es in Innsbruck eine ungarische Mittelschule gibt,
wurden immer mehr Kinder nach Tirol
geschickt.
Diese kleine Schule war bereits 1945 in
Räumlichkeiten des Bundesrealgymnasiums in der Angerzellgasse eingerichtet worden, um den damals aus der sowjetischen Besatzungszone Geflohenen
eine reguläre Schulbildung zu ermöglichen. Da die Kinder über keine Deutschkenntnisse verfügten, die Schulen völlig überfüllt waren, hatten die politisch
Verantwortlichen beschlossen, eine eigene ungarische Schule zu gründen.

Schulplätze für alle
als Herausforderung
Anlässlich des Volksaufstandes in Ungarn kam es auch in Innsbruck
zu Solidaritätskundgebungen. Das Foto entstand „um 1956“.

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INNSBRUCK INFORMIERT

Auch 1956 stellte sich die Sprachbarriere als größtes Problem heraus. Um den