Innsbruck Informiert

Jg.2015

/ Nr.5

- S.58

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Stadtgeschichte

„Ich hab’ gedacht, im
Krieg gibt’s nichts
und im Frieden alles.“
In der letzten „Innsbruck informiert“-Ausgabe wurden Zeitzeugen
aufgerufen, sich zu melden und von ihren Erinnerungen an das
Kriegsende vor 70 Jahren zu erzählen. Christof Grassmayr hat sich
die Zeit genommen und beeindruckte mit seinen Erzählungen.

G

eboren wurde Grassmayr, der aus
der bekannten Innsbrucker Glockengießerfamilie stammt, am 04.
März 1938. Den Krieg hat er also in seiner Kindheit erlebt und daraus Erfahrungen und Erinnerungen mitgenommen, die
ihn sein restliches Leben prägen sollten.
Bei einem intensiven Gespräch erzählt
Grassmayr von zwei schweren Angriffen auf das Familienunternehmen, dass
sein Vater nicht eingezogen wurde, weil
das Unternehmen Grassmayr während
des Krieges statt Glocken Material für das
Messerschmittwerk westlich von Innsbruck fertigte und vom Umzug nach Sistrans, um in Sicherheit zu sein und da das
Wohnhaus in Innsbruck zerstört war. Dort
hörte er auch als Siebenjähriger die Panzerketten, die den Einmarsch der Amerikaner, die damals über Scharnitz gekommen waren, und das Kriegsende
bedeuten sollten.

„Hauptsache, die Amerikaner
sind schneller als die Russen.“
Jeden Abend, erzählt der Zeitzeuge,
habe er mit seinem Vater auf einer großen Landkarte mit Reißnägeln Linien gesteckt, die anzeigten, wie weit die
Truppen bereits vorgedrungen waren. „Eigentlich haben wir nur gehofft, dass die
Amerikaner schneller sind als die Russen.
Die Russen kämpften einen grausamen
Krieg, vergewaltigten Frauen und zerstörten alle Betriebe. Davor haben wir uns
wirklich gefürchtet“, erinnert sich Christof
58

INNSBRUCK INFORMIERT

Grassmayr noch genau. Wenn die Russen
kommen sollten, müssten sie flüchten.
So viel wusste Grassmayr, wohin, wusste
er allerdings nicht. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob meine Eltern das damals
gewusst haben“, erzählt er.
Für die Flucht war bereits alles vorbereitet: Jedes Familienmitglied – Grassmayr war eines von vier Kindern – hatte
einen Rucksack, der mit den wichtigsten
Dingen für eine Flucht befüllt war. Nach
dem Einmarsch der Amerikaner war dieser nicht mehr notwendig. Auf die Frage, an welche Gefühle er sich beim Ende
des Krieges erinnern konnte, antwortet
Grassmayr: „Ich war ein Kind. Für mich
war der Höhepunkt, dass ich meinen
Rucksack leeren und die Dinge darin aufessen durfte. Auch Schokolade und Dörrobst war drin, das gab’s sonst nicht.“

Krieg kann man nicht einfach
ausschalten
Weiter erinnert er sich daran, dass er als
Kind davon ausgegangen ist, dass, sobald
das Kriegsende verkündet werde, alles anders sei. „Dass es dann nicht auf einmal
alles gibt, nachdem wir im Krieg nur sehr
wenig hatten, musste ich erst verstehen“,
so Grassmayr.
Auch von der ersten Begegnung mit amerikanischen Soldaten erzählte er: „Der von
den Nazis ab- und von den Amerikanern
wieder eingesetzte Bürgermeister kam in
Begleitung von amerikanischen Soldaten
zu uns. Es ging darum, ob wir unser Haus

behalten dürfen oder amerikanische Offiziere einziehen würden. Da wir keiner Partei angehörten, konnten wir bleiben. Da
herrschte sehr große Erleichterung.“
So wie jeder besaß auch die Familie
Grassmayr Nazi-Material: beispielsweise musste damals an jedem Haus eine
Fahne mit Hakenkreuz hängen. Christof
Grassmayr erinnerte sich noch genau daran, wie seine Mutter genau dieses aus
der Fahne schnitt und eine weiße Stoffbahn dafür einsetzte. So hingen in kürzester Zeit überall rot-weiß-rote Fahnen.
Das Hakenkreuz hat die Familie gemeinsam mit anderen Sachen, wie zum Beispiel Hitler-Bildern, verbrannt. Dem
damals siebenjährigen Christof Grassmayr hatte eine ältere Cousine erklärt,
dass diese Sachen besser brennen wür-