Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1955

/ Nr.3

- S.2

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Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck
Nummer 4
Und so stehen Sie heute am Ende des 75. Lebensjahres und auch am Ende dieser Ihrer Zeitschrift. Sie haben etwas getan, was nur selten vorkommt. Sie haben selbst die größte Tugend der Mäßigung gezeigt, Sie haben selbst das Licht dieser Fackel zum Erlöschen gebracht; das Wort „Ende des Brenners“, das am Schluß der 18. Ausgabe steht, zeigt, daß Sie nunmehr hier ein
abgeschlossenes Lebenswerk vor sich haben wollen und daß Sie heute nunmehr jüngeren Kräften das Feld überlassen wollen, daß Sie aber selbst heute Ihr Lebenswerk erfüllt sehen. Und ich glaube, daß diese Ihre Hoffnung nicht fehlgehen wird. Der letzte Aufsatz in Ihrer letzten Nummer lautet: „Morgen ist der Tag des Erwachens“, und ich wünsche Ihnen nur das eine persönliche
Erlebnis, daß Sie dieses Erwachen in anderer Form erleben können.
In Würdigung dieser Ihrer kulturellen Tätigkeit durch diese 45 Jahre hat der Gemeinderat am 25. März d. J. einhellig beschlossen, Ihre Leistung dadurch anzuerkennen, daß er Ihnen den Ehrenring der Landeshauptstadt Innsbruck verliehen hat.
Und ich darf nun Ihnen diesen Ring persönlich überreichen.
Professor Ficker:
Verehrter Herr Bürgermeister! Ich weiß nicht, was mich im Augenblick mehr bewegt, die Freude oder die Verlegenheit angesichts der Auszeichnung, die mir die Stadt Innsbruck soeben zuteil werden ließ. Ich kann ja auch der Nede des Herrn Bürgermeisters nichts Gleichwertiges entgegensetzen. Gestatten Sie aber, daß ich das kurz erkläre: Als ich vor 45 Jahren, gewisse Unheile witternd,
die in der Luft zu liegen schienen, zum erstenmal den Versuchsballon des „Brenners“ steigen ließ, da rechnete ich nicht damit, daß dieser Improvisation Beachtung geschenkt würde, weder hierzulande noch sonstwo. Und so wünschte ich fast, es möchte dem fahrlässigen Unternehmen doch recht bald das unausbleibliche Fiasko beschieden sein. Insgeheim litt ich nämlich unter der
Vorstellung, ich könnte mich da auf etwas eingelassen haben, das wohl oder übel nach Herausforderung einer scheinbar noch sorglosen, durch und durch friedlich gestimmten Umwelt aussehen mußte. Jedenfalls hätte mir damals einer gesagt: „Du wirst dein Leben lang an diesem waghalsigen Experiment hängenbleiben“, so hätt ich ihn wohl entsetzt angesehen und vorerst eher noch an
seiner als an meiner Zurechnungsfähigkeit gezweifelt. Und doch kam es so, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich mußte durchhalten, ob ich wollte oder nicht. Es stand da etwas auf dem Spiel, über dessen Licht= und Schattenseiten noch nichts Näheres auszumachen war, etwas, das mir über den Kopf zu wachsen drohte. Das erwies sich vollends nach dem Ersten Weltkrieg, als
ich die Chancen für ein Wiederaufleben des „Brenners“ erwog. Nach reiflicher Überlegung schien es mir, daß die Fortsetzung der Zeitschrift nicht das Dümmste sein könne, was im Hinblick auf die Wirrnisse der Zeit einfallen konnte. Zwar war ich selbst mit gewaltigem Schwung in den galoppierenden Vermögens= und Vertrauensschwund einer Inslation hineingerissen, aber ich sagte mir, in
einer Welt, wo so viel geistiger Zündstoff zwi schen Erbitterung der verschiedensten Art angesam melt ist, muß es auch Menschen geben, deren einzige Sicherung darin besteht, daß sie durch eine verläßliche
lange Leitung mit den Natschlüssen der Vorsehung verbunden sind. Auf sie konnte ich mich in diesem Fall verlassen. Und so waren nach notdürftiger Verständigung zwischen Freunden, die ähnlich isoliert und beunruhigt lebten wie ich, alsbald die Voraussetzungen geschaffen, daß sich auf der neu aufgeschlagenen Bühne des „Brenners“ jene Geisteskämpfe abspielen konnten, die da und
dort Aufmerksamkeit erregten und, bewegt von der Konfliktsfülle dramatischer Spannungen und Entladungen, zur Klärung der Horizonte wie zur Schärfung der Einzelgewissen vor übertriebenen Machtansprüchen der Wirklichkeit am Ende doch Wesentliches beitrugen. Wenn auch zur gleichen Zeit meine Situation nach außen hin prekär und meine Art, zu existieren, anstrengend erscheinen
konnte, ich hatte inzwischen für viele Jahre Unterschlupf in graphischen Betrieben als Korrektor gefunden, so fand ich mich darin doch leicht zurecht durch die wachsende Zuneigung von Arbeitskollegen, bei denen ich, obwohl ein Eindringling, wohl gelitten war. Sie sehen, verehrte Stadtväter, es gäbe manches zu erzählen, was mein gewagtes, aller Norm entglittenes Außenseiterleben
bemerkenswert erscheinen lassen könnte. Aber fürchten Sie nicht, daß ich Ihre Geduld mißbrauchen und mehr Aufhebens von mir machen könnte, als mir billigerweise zusteht. Mir liegt nur noch eines am Herzen. Man hat mir freundlicherweise nachgesagt, daß meine notgedrungen schweigsame Existenz einem Aufleben ursprünglicherer Worterkenntnis Raum zur Entfaltung gegeben
habe. In mir wie in anderen, das kann sein. Um so mehr bitte ich Sie, zu verstehen, daß ich die Auszeichnung, den goldenen Ring, den Sie mir heute verliehen haben, nur annehmen kann, wenn ich die Ehre, die damit verbunden ist, dem Andenken jener Freunde widmen darf, die mir durch ihr Wort und Beispiel selbst die Augen geöffnet haben für die wahren Entscheidungen und
Opferringe im Erfahrungsbereich der heutigen Zeit. Ich brauche keine Namen mehr zu nennen. Namen, das sind Namen Dahingegangener wie noch Lebender, Namen von Dichtern und Denkern, gestern noch unbekannt oder verkannt, zum Teil aber heute schon eine Strahlkraft aussendend, die bester österlicher Erwartung entspricht. Was sich davon vom „Brenner“ bis zuletzt wie zufällig
zusammenfand, waren einsame Naturen, scheinbar Sonderlingsnaturen, aber noch in ihrem Gegeneinanderwirken einer Wirklichkeit aufgeschlossen, deren Einheitlichkeit meiner Erkenntnis wie meiner Erkenntlichkeit bis heute zugänglich geblieben ist. Und so darf ich hier wohl wiederholen, was ich in meinem „Abschieds=Brenner“ schon angedeutet habe, es mag wohl eine lose
Vergangenheit sein, die hinter mir liegt und hinter dem entrückten Sorgenantlitz von Freunden, die einst im „Brenner“ um mich waren. Aber mir genügt ja auch schon, wenn man heute den grünen Zweig sieht, auf den ich mit allem, was mir das Herz einst leicht und schwer gemacht hat — enteilt der Vogel Zeit vorbei —, schließlich gelangt bin. Als ein solches Zeichen der Geborgenheit nicht
nur in einem Pietätsfonds der Erinnerung, sondern auch im Gedächtnis der Stadt, deren Heil uns allen am Herzen liegt, lassen Sie mich, Herr Bürgermeister, nun auch diesen schönen Abend ansehen. Und wenn ich nun, dem Hochhinauswollen nie recht gelingen wollte, mit den verehrten Anwesenden Ihrer