Innsbruck Informiert

Jg.2010

/ Nr.9

- S.58

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S t ad t g e s c hi c h t e

A u s d e m S t ad t ar c hiv / S t ad t m u s e u m

Ackerfläche – Flugplatz – Hochhaus
Zur Nutzung des Reichenauer Gutshofes (1510–1970)

vo n Mag . Dag m ar K r e idl

D

er Reichenauer Gutshof trug beinahe 500 Jahre lang – vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert
– wesentlich zur Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Innsbrucks bei. Zunächst diente der Hof der Versorgung des
Fürstenhofes, später ging er in den Besitz
der Stadt Innsbruck über und unterstützte mit seinen Erzeugnissen die Stadtbewohner. Der 1970 abgerissene Gutshof lag
etwa im Bereich der heutigen Kreuzung
Reichenauer Straße/Radetzkystraße. Er
war das älteste und bis in die Anfänge des
20. Jahrhunderts auch einzige Gebäude
in der Reichenau. Noch bis in die 1950er
Jahre breiteten sich die Wiesen und Felder
des Gutshofes im heutigen Innsbrucker
Stadtteil Reichenau aus.
Das landesfürstliche Gut ist seit der
Zeit Herzog Sigmunds des Münzreichen
(1446–1490) nachweisbar. Im Laufe des
19. Jahrhunderts wechselte der Gutshof mehrmals die Besitzer. Schließlich
kaufte die Stadtgemeinde Innsbruck
1902 den rund 50 Hektar umfassenden
Hof. Bereits 1904 erfuhr das Gut seine
erste gebietsmäßige Einschränkung, als
nördlich der Gutsgebäude die städtische
Wasenmeisterei (Tierkörperverwertung)
errichtet wurde. In weiterer Folge diente
der Hof während des Ersten Weltkrieges
militärischen Zwecken. Auf dem Gelände
wurden für die in Innsbruck stationierten Artillerieformationen Unterkünfte
geschaffen. Diese Gebäude wurden später
wiederum nutzbringend für die Landwirtschaft eingesetzt.
Eine weitere Einengung des Gutes ging
1925 mit der Eröffnung des Innsbrucker

Flughafens einher. Das Land Tirol wollte
sich einer zukunftsweisenden Entwicklung wie der Luftfahrt nicht verschließen.
Auch deshalb, weil sich mittlerweile vor
allem ausländische Gesellschaften um die
entsprechenden Flugkonzessionen in Österreich bemühten. Schließlich überließ die
Stadt dem Bund etwa 15 Hektar des Gutes
für zwei Hangars, das Gebäude der Flugleitung und eine Graspiste. Unter bestimmten Auflagen durfte auf dem Flughafen­
areal weiterhin das Gras genutzt werden.
Jedoch hatte der reibungslose Flugbetrieb
unbedingt Vorrang vor der landwirtschaftlichen Nutzung. 1947 wurde der Flughafen
in der Reichenau endgültig aufgelassen
und in die Höttinger Au verlegt.
Eine erneute Einschränkung des Kulturlandes am Gelände des Gutshofes
erfolgte 1936/37 mit dem Bau der Eugenkaserne. 1943 legte die Wehrmacht auf
dem Gebiet vier Flakbunker (Flugabwehrkanone) an. Die wuchtigen Betonbunker
waren unterirdisch miteinander verbunden und mit Fluchtwegen ausgestattet.
Im März 1983 mussten die Bunker einem
Löschteich weichen und wurden „zerbröselt“. Eine Sprengung war wegen der dicht

besiedelten Umgebung nicht möglich.
Derzeit entsteht auf dem Areal das Olympische Dorf für die ersten Olympischen
Jugend-Winterspiele 2012 in Innsbruck.
1942 entstand das Vorhaben, auf dem
Gelände des Gutshofes eine Landwirtschaftliche Schule in Innsbruck zu etablieren. Die für Herbst 1944 geplante Eröffnung musste aber mangels Lehrpersonen
aufgeschoben werden. Erst 1956 konnte
die Tiroler Landwirtschaftskammer das
Schulungsheim und die Landmaschinenhalle errichten. Das Schulungsheim
bestand bis ins Jahr 2004. Seit 24. Jänner
2005 betreibt das Land Tirol ein Flüchtlingsheim in dem Gebäude.
In den Nachkriegsjahren wurde die
Landwirtschaft immer weiter zurückgedrängt, zahlreiche Grundstücke wurden
in Bauland umgewidmet und gingen z. B. an
die Landesfeuerwehrschule sowie an Gewerbebetriebe. Es vollzog sich ein sichtbarer Wandel von einer Agrargesellschaft
hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft.
Und diese Entwicklung erreichte schließlich auch den Reichenauer Gutshof, dessen landwirtschaftlicher Betrieb 1950 aufgelassen wurde.
1952 begann die Bebauung der Gründe mit Wohnhäusern, die nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg höchst
notwendig waren. Nicht zuletzt trugen
die IX. Olympischen Winterspiele 1964 in
Innsbruck dazu bei, zahlreiche Bauprojekte durchzuführen. Während der Winterspiele war das Organisationskomitee
im Gutshof untergebracht. 1970 wurde
der Reichenauer Gutshof schließlich abgerissen, um für den weiteren Bau von
Wohnungen Platz zu schaffen. 

Der Reichenauer Gutshof aus der Vogelperspektive mit seinen Wiesen und Feldern,
den Flughafengebäuden und der Graspiste, um 1925. Im weißen Landekreis in der
Mitte des Flugfeldes befand sich das Rauchfeuer zur Bestimmung der Windrichtung.

© Sammlung Kreutz, Stadtarchiv, KRPLK-879

Der Reichenauer Gutshof kurz vor dem Abbruch, 1970.
© R. Frischauf. Sammlung Stadtarchiv, Ph-8445

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