Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1954

/ Nr.2

- S.6

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Seite 6

Amtsblatt der Vandesbauvtstadt Innsbruck

Nummer 2

Bürgermeister D r . Greifer berichtet über Amerika
Die Verbreitung des Flugzeuges geht über nnscre Vorstellungen. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage,
daß drüben täglich tausende Landungen nnd Abflüge erfolgen. Schon jede mittlere Stadt besitzt einen technisch einwandfreien Flugplatz, Die Ausdehnung mancher Flugplätze
erinnert an den Londoner Flughafen, wo man vom Flngzeuss mit dem Autobus zum Restaurationsgebände geführt
wird.
Ich habe von den öffentlichen Unternehmungen gesprochen.
F ü r den Kampf zwischen Privat- und Staatskapital sahen
w i r ein interessantes Beispiel, Zwischen Kauada und den
Vereinigten Staaten wnrde über die Niagarafälle ein
neues Abkommen getroffen, das eine gesteigerte Ansnütznng
dieser Fälle für die Erzeugung von Wasserkraft ermöglicht.
Ein Elektrizitätswerk heißt dort durch einen großen Anschlag
die Besucher willkommen. Bereitwillig wnrde nns alles gezeigt. A m Schlnsse wnrden nns Broschüren übergeben, in
denen ausgeführt war, daß es viel zweckmäßiger wäre, wenn
fünf große Unternehmungen die Fälle ausbauen würden,
statt daß der Steuerzahler sein Geld dazn hergeben müsse.
(Dieser Streit wurde übrigens im Herbst 1953 zn Gunsten
der Privatwirtschaft erledigt.)
Wie lebt der Amerikaner in der Familie? W i r hatten,
wenn auch unr in bescheidenem Maße, Gelegenheit, in typisch
amerikanische Familien zn kommen.
Beim Verhältnis zwischen Kindern nnd Eltern zeigte
sich, was nns auch von allen Answandcrerfamilicn bestätigt
wurde, daß die Kinder viel früher als bei nns selbständig
werden, daß aber die Eltern diese Entwicklung gewohnt sind,
nichts daran finden nnd die Sclbständigkeitsbestrcbungcn
der I n g c n d unterstützen. Mitteilungen ausgewanderter Familien znfolgc geht es häufig wie bei der Henne, welche
Enteneier ausbrütet; die Küchlein werden schnell flügge nnd
verlassen das Nest. Überraschend schnell entfremden sich die
Kinder dem Elternhaus, um ihr eigenes Leben zn beginnen.
Schon bei der Sprache fängt es an. Die Kinder unserer
Auswandererfamilien sprechen mit den Eltern deutsch, weil
es die erste Sprache war, die sie gelernt haben, aber anch
weil es die Eltern wünschen. Untereinander Planschen sie
aber schon lnstig englisch. I h r e Kinder werden höchstens
noch i n der Schnle Dentsch lernen.
F ü r unsere Verhältnisse vollkommen fremd mnten zwei
Erscheinungen an, die mit dem E i n t r i t t jnngcr Erdenbürger
in das Leben verbunden sind. Seit Jahrzehnten ist znmindest
in den mittleren nnd besser gestellten Bevölkcrnngsschichtcn
die schmerzlose Geburt die Regel. Eine Österreicherin erzählte mir, wenn die Geburt bevorstehe, gehe man in die
Klinik nnd wache sozusagen erst wieder auf, wenn das Kind
da ist. Die Wissenschaft hat aber doch Bedenken nnd empfiehlt nnn wieder die natürliche Geburt. Ich habe bei mir
allein zwei Magazine, in denen Propaganda für „natural
k i r t k " gemacht wird. Anch wenn w i r nicht über die gnte
Lcbcnsmittelindnstrie verfügen, ist es für nns doch unvorstellbar, daß das Stillen der Kinder als etwas Überflüssiges
betrachtet und daher so rasch wie möglich beendet wird. Bei
uns gibt es Plakate, auf denen eine Kuh abgebildet ist, die
zum Kinde mit der Milchflasche sagt: „Geh znr Mutter,
sie kann besser für dich sorgen."
Was die Einstellung des Staates zur Jugend anlangt,
werden nahczn alle Filme freigegeben. Manche Filmwerbungen enthalten sogar den Hinweis: „Kinder bis 12 Jahre
gratis." Andererseits habe ich Tanzlokalc gesehen, an deren
Außenseite ein Anschlag mitteilte, daß Minderjährige nntcr
21 Jahren nicht zugelassen und sofort verhaftet werden
würden.
Ob die Jugendkriminalität wirklich so verbreitet ist, wie

es manchen hiesigen Zeitnngsmeldnngen einspricht, konnte
ich nicht feststellen. Persönlich möchte ich den Eindruck haben,
daß das, was die Zeitungen hie nnd da bringen, Einzelfälle
sind; nnd wenn w i r an die letzten Ereignisse in Salzburg
nnd München denken dürfen w i r hier nicht gerade stolz
sein; in einer amerikanischen Stadt klagte die Polizei sehr
über den Marihnanaschmuggel.
Interessant nnd in mancher Hinsicht abweichend von nns
ist das Verhältnis der arbeitenden Bevölkerung zn den
Unternehmern. Wenn w i r von den Gewerkschaften lesen,
wird nns nicht bewußt, daß nur ein Drittel der gesamten
Arbeiter nnd Angestellten organisiert ist. Die Lage für den
Arbeitswilligen ist derzeit sehr gnt, jedes fünfte Geschäft
zeigt einen Änschlaa, daß ein M a n n oder cine Fran gesucht
wird, wobei gewöhnlich angegeben ist, ob Weißer oder
Farbiger.
Es gibt eine obligate Unfalls- nnd Altersversicherung für
den Dieustnchmcr, aber die Krankenversicherung wird ihm
überlassen. Die Vcrdicnstvcrhältnisse sind besser als bei uns,
ich schätze den Reallohn mindestens dreimal so hoch wie bei
nns, Anch das Streben nach Erwerb und Anlaae von Kapital ist sehr groß. M i r wnrdc erzählt, daß W Prozent der
Aktien des größten Versandhauses, Sears Roerbuck, das
jedes Jahr zweimal einen Katalog in mehr als 10 Millionen
Anflaae aussendet, im Besitze der Angestellten dieser Firma
sind. Vielleicht ist das anch für nns ein Fingerzeig.
Der Durchschnittslohn des gelernten Facharbeiters beträgt
ungefähr 3 Dollar für die Stnnde; der Monat hat ungefähr
180 Arbeitsstunden, weil restlos die Fünftagewoche ein»
geführt ist; Samstag nnd Sonntag sind frei.
Die geistige Arbeit wird ein wenig unterbewertet. I c h
habe in einer bekannten Bnchhandlnng eine Angestellte angetroffen, die sich mit 40 Dollar in der Woche znfriedcn
geben mnßte.
Besonders aufgefallen ist mir das Verhältnis zwischen
Vorgesetzten nnd Untergebenen im Arbeitsbctrieb.
Bevor man Amerika verläßt, mnß man ein „«^ilinss perinit" erwerben, d . i . eine Bcstätignng, daß man alle Stcncrn
gezahlt hat. I m betreffenden Büro war beim Eingang ein
Beamter, welcher sich nm die Eintretenden kümmerte. Es
stellte sich schließlich herans, daß es der Chef dieser Abteilung
war.
Bei einer Filiale einer Großbank arbeiten 70 bis 80 A n gestellte in einer großen Halle. Der Direktor arbeitet in
einem kleinen Zimmer, aber schon sein Stellvertreter sitzt
mitten nnter den Arbeitskräften i n der Halle. Bei einer
Zeitnng saß die gesamte Redaktion in einem Riesenranm;
30 Redakteure mit Fernschreibern, Telefon, Schreibmaschinen nnd Besuchen waren beisammen; nnter ihnen war der
Ehcfredaktenr. Dort habe ich begriffen, daß manche menschlichen Beziehungen viel cnaer sind als bei nns, wo es das
erste Bestreben jedes Angestellten ist, eigene Wände — nnd
sei das Zimmer noch so klein — für fich zu haben nnd nicht
in einem größeren Nanm nntcr anderen zu arbeiten.
Es ist schwer, über Amerika zu sprechen, ohne eine Frage
zn hören, die Wohl an jeden, der znrücklehrt, gestellt w i r d :
Wie steht es mit der Ncgcrfragc? Das, was am meisten
auffällt, ist, daß die Verhältnisse im Norden nnd im Süden
gänzlich verschieden sind. I m Norden kommt man im Hotel,
in der Straßenbahn, im Restanrant mit Farbigen zusammen, aber je weiter man nach Südeu kommt, desto stärker
wird die Rassenschcidnng. Letzthin hat das Oberste Bundesgericht es für ungesetzlich erklärt, daß die Züge, die von
Norden nach Süden fahren, vom Eintritt in einen Staat
von einer bestimmten Station an getrennte Wagen für
Weiße nnd für „ c e l e r y people" führen. I n den Süd-