Amtsblatt (der Stadt Innsbruck)

Jg.1954

/ Nr.2

- S.2

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Amtsblatt der Landeshauptstadt Innsbruck

Spitzmüller i n seinen Memoiren schrieb! „daß die größte
moralische Verantwortung mit dem Ablehnen der Übernahme einer Verantwortung verknüpft sein könne". T i e
Entscheidung, eine Verantwortung nicht zn übernehmen,
kann ebenso schwerwiegend sein wie eine entgegengesetzte
Entscheidung,
Drei große Fragen lasten derzeit auf unserem Volk und
lasseir sich nicht trennen. Die schlimmste Belastung der Bevölkerung ist Wohl die moralische Not der Familie; wo das
Eheband von der unzertrennlichen Lebensgemeinschaft zu
einem jederzeit lösbaren Zivilvertrag sinkt, wird die J u gend, die Kindheit, des Heiligsten beraubt, das ihr auf
Erden znr Verfügung steht: der Schutz ihres Heimes. Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, daß die Mutterliebe
durch nichts zu ersetzen ist, daß das Los des uuehelichcu
Kindes deshalb so beklagenswert ist, weil es diese Mutterliebe infolge der Verhältnisse nur sehr beschränkt genießen
kann.
Daß die „soziale I n d i k a t i o n " für die Tötung des keimenden Lebens i n manchen Fällen mit scheinbarem Recht einen
Vorwand bietet, ist die schwerste Anklage, die gegen unsere
Gemeinschaft erhoben werden kann.
Hand i n Hand mit dieser moralischen Not geht die w i r t schaftliche Not der Familien, besonders der kinderreichen.
Das Wort „Proletarier" (von „Proles") gewinnt wieder
seinen ursprünglichen S i n n . Nicht mehr Stand und Rang
sind maßgebend, sondern die Frage, ob die Familie groß
oder klein ist. W i r hoffen, daß Heuer i n diesem Punkte i n
Osterreich eine Besserung eintritt. Wie notwendig es ist,
können w i r den statistischen Nachrichten entnehmen, denen
Infolge 18NN Schilling im Monat das Existenzminimum
einer vierköftfigen Arbeiterfamilie darstellen. Stellen w i r
uns bor, wie weit w i r entfernt find.
Die Stadtgemcinde Innsbruck kann stolz sein, daß sie
dnrch das einträchtige Zusammenwirken der Parteien ans
diesem Wege den anderen Gemeinwesen dnrch die Festsetzung sozialer Mietzinse und eines Minderbemitteltentarifes ein lenchtcndes Beispiel gegeben hat.
Hand i n Hand geht die dritte große Plage unseres Volkes,
die Wohnungsnot. Die bitterste Anfgabe meines Amtes ist
es, einige hundert Familien und Einzclsteheude zn kennen,
die i n den elendsten Wohnverhältnissen (der Ausdruck Wohnverhältnis ist i n vielen Fällen nicht einmal mehr angebracht) leben. M a n kann diesen Familien, auch Ledigen und
Kinderlosen, wenn sie zur Gemeinde kommen, leider Gottes
nur wenig wirklichen Trost geben, weil w i r wissen, daß w i r
J a h r für Jahr immer nnr einen geringen Brnchteil all
dieses Elends beseitigen können. I c h gebe der Hoffnung
Ausdruck, daß die Gesetzgebung alles tnn wird, nm i n möglichst weitem Umfang auch die freiwillige Zurverfügungstellung von Wohnraum zn veranlassen nnd Wohnbau aller
A r t zn fördern, so daß anch kinderreiche Familien in die
Lage versetzt werden, entsprechende Wohnnngcn zu erhalten.
Welche Aufgaben hat die Gemeinde i n den nächsten drei
Jahren? Eine der wichtigsten Fragen, die nns noch vor
drei Jahren zeitlich unbegrenzt erschien, hat i n der Zwischenzeit i n den letzten Monaten eine überraschend günstige
Lösung gefunden. Damals war noch die Beschlagnahme von
mehr als 5W Wohnungen eine unserer Hauptsorgen. I u
kurzer Zeit wird diese Periode der Vergangenheit angehören.
Wohnbauten sind für uns notwendig, um jeweils die
allerschlimmsteu Elendsfälle beseitigen zu köunen. Die
starken Kebnrtenjahraänge nnd das gesteigerte berechtigte
Bedürfnis der Bevölkerung, nicht nur einzelner Kreise,
sondern der breiten Massen, nach eiuer besseren Ausbildung
der Jugend müssen uns veranlassen, für Schnlbauteu größere Aufwendungen zu machen. Allein die von der Besatzung freigegebenen Häuser des Siebererschen Waisenhauses und der Mandelsbergerschule werden eine Summe

Nummer 2

für Wiederinstandsetzung bzw. Fertigstellung erfordern, die
von 11) Milliouen Schilling nicht weit weg sein wird. Die
neue Vradler Schule ist ein dringendes Bedürfnis, am
Sicglanger nnd i n den Allerheiligcuhöfcn sind kleinere
Schulen im B a n , auch für die Hungerburg erhoffen w i r
uns eiuc Lösuug. I n Hötting ist vielleicht eine Aufstockung
möglich.
Die wichtigsten sonstigen Bauten sind: die Vollendung
des Stadtsaalcs, der Ausbau des Rathauses (um im Gebäude am Haydnftlatz Wohnraum freizubekommen), im
Laufe des nächsten Jahrzehntes soll auf deu Gründen der
Dogana ein Kongreßgebäude entstehen. Die Fraktion I g l s
fordert eine Wasserleitung. Weitere Aufgaben sind Verhandlungen mit dem Land T i r o l über die Aktien der Tiwag,
die Regulierung der Schweizerfranken-Anleihe.
Letzten Endes dürfen w i r der Volksgcsundhcit nicht vergessen, es muß ein Freischwimmbad errichtet werden. A m
Schlüsse dieses großen Wunschzettels werden w i r Wohl in
einigen Jahren auch mit dem Ausbau der unteren Sillstnfe
rechnen können.
A m Schlüsse möchte ich noch ein Zitat aus ciucr Zeitung
verlesen, weil ich glanbe, daß die darin anfgcsteNten Forderungen w i r restlos unterschreiben und zu uuscrcr Überzeugung machen werden:
„Daß einer sein Metier verstehe, ist eine Forderung auf
jedem Gebiet und für jede Stellung; aber von demjenigen,
dessen Entscheidungen das Schicksal vieler beeinflussen, verlangen w i r mehr: daß er zu seiner Uberzeuguug stehe, auch
wenn die Mode ihr einmal widerspricht; daß er nichts verspreche, wovon er in Kenntnis der Verhältnisse wissen kann,
daß er es nicht wird halten können; daß er bestimmt sei vou
einem Verantwortuugsbcwußtsciu nicht nnr gegenüber
einer Partei oder einem ,Volkswillen" oder einer momentanen Volksgnnst, sondern gegenüber einer größeren nnd
höheren Macht. Denn nnr dann wagen w i r zn vertrauen,
daß er i m entscheidenden Augenblick auch entgegen der
O p p o r t u n i s t noch im wirklichen Interesse der Menschen
handelt, deren Wohl nnd Wehe er mitzubestimmen hat,"
Es folgten die grundsätzlichen Erklärungen der
Parteien.
Stadtrat D i p l . - I n g . Hradetzky, der für die Ö V P .
und die mit ihr gekoppelten Listen sprach, führte u. a.
aus, es erfülle mit Genugtuung, daß die Wähler die
schwere Arbeit der Gemeindeverwaltung seit 1N45
durch ihre erneute Zustimmung anerkannt hätten.
Arbeit und Verantwortung i n der Gemeinde hätten
eine andere politische Bedeutung, als gemeinhin angenommen würde. Bei den in den letzten Wochen geführten Besprechungen und Verhandlungen hätte
man sich aufrichtig bemüht, die Grundlage für eine
gedeihliche Zusammenarbeit zu finden, ohne der
grundsätzlichen Haltung und dem Unternehmungsgeist
Bindungen aufzuerlegen. Jeder brauchbare Vorschlag,
auch von politisch anders Gesinnten, verdiene geprüft
und behandelt zu werden. Dies werde in der Öffentlichkeit oft falsch «erstanden und als „Packelei" abgetan, womit man der Demokratie einen schlechten
Dienst erweise. Gemeinsame Lösungen zu suchen und
zu finden entspringe hochherziger Geisteshaliung.
welche ein „Packeln" von uornherein unmöglich mache.
Die ungeteilte Ganzheit des Lebens, in dem kein
Zweck die M i t t e l heilige, verpflichte, auch im politischen Handeln jene Grundsätze einzuhalten, zu deren
Einhaltung sich im Privaten jeder anständige Mensch
verpflichtet fühlt, in der Überzeugung, das; es in allen
Parteien aufrechte Charaktere, ehrliche Haltung und