Innsbruck Informiert

Jg.2004

/ Nr.12

- S.44

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STADTGESCHICHTE

Die Hungerkrawalle
im Dezember 1919
In e i n e r Z e i t , in d e r in u n s e r e n B r e i t e n so m a n c h e r Ü b e r f l u s s an
m a t e r i e l l e n G ü t e r n als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e r a c h t e t w i r d , u n d d i e
Leistbarkeit lebensnotwendiger Grundnahrungsmittel
w e i t g e h e n d g e s i c h e r t e r s c h e i n t , i s t es s c h w e r v o r s t e l l b a r , dass
d i e J a h r e , in d e n e n a u c h in u n s e r e r S t a d t u m d i e V e r s o r g u n g d e r
B e v ö l k e r u n g m i t d e n a l l e r n o t w e n d i g s t e n D i n g e n des t ä g l i c h e n
( Ü b e r - ) L e b e n s g e k ä m p f t w u r d e , n i c h t so w e i t z u r ü c k l i e g e n .
Bedrückende und heute wohl fast
unvorstellbare Ereignisse nach dem
Ende des Ersten Weltkrieges in unserer Stadt zeigen auf, dass vor nicht
mehr als 85 Jahren Innsbrucker Frau-

kehrten, „überflutet" war.
Wenn
auch
die
politischen
Führungsgremien des Landes und der
Stadt Innsbruck Ausschüsse bestellten, die „die Aufgabe (hatten), für die
Ernährung desVolkes Sorge zu tragen
Aus dem Stadtarchiv/Stadtmuseum
und die bevorstehende Hungersnot
nach Möglichkeit zu mildern", konnvon Josefine Justic
te die Bevölkerung nicht mehr beruhigt werden. Am 4. Dezember war es
en und Männer vehement demondann soweit, dass die Innsbruckerlnstrierten, um für die leiblicheVersornen ihrer W u t freien Lauf ließen:
gung ihrer Familien zu kämpfen.
„ D i e trostlosen ErnährungsverSchon während der Kriegsjahre
hältnisse haben heuI te zu einer großen
»( Demonstration geführt, die in dem
Moment ihren A n fang nahm, als ein
Waggon mit Brot in
das Gebäude der
Landesregierung geführt wurde. Mehrere hundert Personen, meist Frauen,
Beim Kolbenturm in der Altstadt stehen Menschen um Milch an.
sammelten sich un1916-1920. Original in Privatbesitz, Kopie im Stadtarchiv/Stadtter
Schmährufen
museum, Ph-25373
vor dem Gebäude
der Landesregierung an und ent1914 bis 1918 herrschte in Innsbruck,
sandten schließlich eine Abordnung
wie auch in anderen Städten und Orzu den Landesräten Professor Stumpf
ten, bald Mangel an fast allem, was
und Dr. Steidle,um Beschwerden wesich, je länger der Krieg andauerte,
gen der Verteilung der Lebensmittel
immens verschlimmerte. DieVersorgung der Bevölkerung mit Lebensvorzubringen. Die beiden Landesräte
mittein wurde zusehends prekärer
verwiesen die Abordnung an den Maund steigerte sich vollends ins Chagistrat. Die Demonstranten zogen
otische, was I 91 9 schließlich zu offenun zum Magistratsgebäude und
suchten, in die Wohnung des Bürgernen Plünderungsaufrufen und den
meisters Dr. Grei! einzudringen.
Krawallen im Dezember führte.
...Während des Empfanges der DeDie Lage verschärfend kam hinzu,
putation versuchten die D e m o n dass das Nachkriegs-Innsbruck von
stranten auf der Straße mehrere LeSoldaten, die von der Südfront heim-

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bensmittel- und sonstige Geschäfte
zu plündern, w u r d e n aber hieran
durch die Polizei gehindert. Mehrere
hunderte Demonstranten zogen zu
den Stadtsälen, w o der eiserne Kartoffelvorrat der Stadt von I 0.000 Kilogramm weggetragen wurde."
A m nächsten Tag entbrannten die
Hungerdemonstrationen neuerdings.
„Die Demonstranten versuchten in
das Gebäude der Kreditanstalt, wo die
Kriegsgetreideverkehrsanstalt untergebracht ist, einzudringen ... sodann
zertrümmerten sie die großen Fensterscheiben des Cafés MariaTheresia
durch Stein würfe und drangen auch in
das Kaffeehaus sowie in das Hotelgebäude ein. Hierauf zog die Menge auf
den Burggraben und demolierte das
Geschäft der Selcherei Hörtnag! und
später das Café Lehner ..." Bis zum
6. Dezember, dem letzten Demonstrationstag, fanden weitere Plünderungen im Canisianum, im Gasthof
Hellenstainer und im Kloster Wilten
statt.
A m I I. Dezember berichteten die
„Innsbrucker Nachrichten" dann über
die Versorgung Tirols mit Lebensmitteln folgendes: „Die, auf die bedauerlichen Ausschreitungen in der Vorwoche rasch erfolgte Beteilung der Bevölkerung Innsbrucks mit Lebensmitteln hat in vielen Kreisen die Meinung
erweckt, daß die zur Verteilung gelangten Lebensmittel vorrätig waren
und daß das Volk sich die Ausgabe
durch die Demonstrationen erzwungen hat." Es waren laut dieser Meldung
keine gehorteten Lebensmittel, die
nun verteilt wurden, sondern Hilfslieferungen, die u.a.aus Deutschland kamen bzw. von der italienischen Besatzung zur Verfügung gestellt wurden.
Auch wenn für den Moment die
Versorgungslage der Bevölkerung
entspannt werden konnte, dauerte es
noch Jahre, bis ein aus heutiger Sicht
„Normalzustand" in dieser Frage erreicht wurde.

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